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Traugott Schneider [d.i. Reinhard Döhl] | Fußnote zu einem Dialog

Als sich Günther C. Kirchberger und Reinhard Döhl Anfang der 60er Jahre kennen lernten, waren beide "gruppengeschädigt", Kirchberger als Mitglied der inzwischen legendären "Gruppe 11", mit der er immerhin in London, Rom, München, Wuppertal und anderen Orts weit über Stuttgart hinaus Erfolg hatte, Döhl als Mitglied der Göttinger "werkgruppe für dichtung". Dennoch kam es schnell zu Gedankenaustausch und zeitweilig intensiver Zusammenarbeit, was sich - idealtypisch verkürzt - in sieben Schritten darstellen läßt.

Ausstellungseröffnungen

Zunächst wird Döhl, erstmalig 1961 in der Stuttgarter Galerie Müller, zum Ausstellungseröffner Kirchbergers in einem Maße, das sich den publizierten Eröffnungsreden und Katalogtexten (1) nur zum Teil ablesen läßt, die in einem alles versammelnden Typoskript "Von der Farbe zur Form und zurück" inzwischen den Charakter einer Monografie angenommen haben.

Künstlerisches Zuarbeiten

Zweitens folgte der ersten Begegnung bald ein wechselseitiqes künstlerisches Zuarbeiten, steuerte Kirchberger literarischen Arbeiten Döhls, z.B. der Buchfassung der "missa profana" (1962) grafische Arbeiten bei, während Döhl umgekehrt literarische Texte, sogenannte "Contexte" zu Kirchbergers Arbeiten schrieb. Als ein Beispiel sei hier aus den "Ansichtskarten" die 6., Kirchberger ausschließlich betreffende zitiert:

"Die Ansichtskarten Günther C Kirchbergers haben eine Ansicht, die sonst niemandes Ansicht ist. Man kann sie keinem Menschen vorlesen. Man kann sie in keine Sprache übersetzen. Man kann sie nicht vom Blatt singen. Sie bezeichnen eine Welt, die es sonst auf der Welt nicht gibt. Die es nirgendwo auf der Welt mehr gibt. Und die gezeigte Welt ist jedesmal eine andere."

Mit einem "Siebenminutenroman", der unter speziellen experimentellen Bedingungen in Kirchbergers Atelier entstand und 1962 in Darmstadt als Eröffnungsrede fungierte, gelanq es sogar, den bei der Vernissage anwesenden Bürgermeister in die Flucht zu schlagen, und zwar mit der Passage:

"Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann und Bilder sind gemalt und übermalt weil sie nicht gelten gehn wir wir können nicht warum nicht wir warten na auf was schon el papa die Magd den Hirten den Kanzler den Knappen den Schildknapp den Ludwig den Frommen o Fallada der du hangest zwischen Bonn und Gomorrha treten Spuren auf die das Bild beeinträchtigen der Zerstörung in Farben mit Farben zusammen durch sie hindurch werden vertuscht mit huschhuschbonnselabimbam [...]"

Ebenfalls noch 1962 entstand für den Katalog einer geplanten Ausstellung ein als Portrait Günther C. Kirchberger gedachtes "stenogramm":

"(malen) malt daß. malt darüber (darüber daß) malt wie. malt daß das malen (farben anstelle farben an farben die). legt hand an und geht mit um wie z.b. (stellt etwas an an stelle vertuscht dies und macht etwas aus). macht was er macht damit und damit. durchschaut was gemacht wird (macht sich gut oder schlecht und es sich). macht sich gedanken wie (auch von etwas) (darüber mehr mehr davon). wählt aus sucht zusammen (setzt zusammen die) macht einen plan läßt es (läßt sich gehn geht). hat keinen goldenen boden bricht ab (wos abbricht). der abbruch der randbruch der randschmutz die schmutzspur. hat keinen grund ist grundlos. grundlos malt grundlos malt daß."

Dieses abstrakte Portrait des Malers verband sich mit einem Portrait des Autors, in dem "malen" durch "schreiben", "farben" durch "wörter" ersetzt waren, das darüber hinaus jedoch weitgehend textidentisch war, zu einem Stenogrammdoppel, das demonstrieren sollte, wie verwandt Kirchberger und Döhl damals ihre künstlerischer Ansätze empfanden.

TextGrafikIntegration und Comic Strips

Dies vorausgesetzt, nimmt es nicht Wunder, daß es drittens in den Jahren 1962 bis 1965 zu konkreter künstlerischer Zusammenarbeit kam bei sogenannten "TextGrafikIntegrationen" (Abb. 2) und "Comic Strips" (Abb. 3). Es waren dies Arbeiten auf Papier, mit denen die beiden Künstler versuchten, Text und Bild, Grafisches und Skripturales in die Synthese zu bringen. Ein solches Experimentieren lag damals zwar, wie nicht nur die berühmte Ausstellung "Schrift und Bild" (Amsterdam / Baden-Baden, 1963) belegt, in der Luft (2), doch deuten die Dauer des gemeinsamen Experimentierens und die späteren Werkentwicklungen - wovon noch zu reden sein wird - etwas von der Intensität an, mit der Kirchberger und Döhl diese wechselseitigen Grenzerkundungen betrieben, selbst dann noch, als sich beide von ihrem eher informellen Ansatz gelöst hatten.

Programmierte Kunst

Vor allem in den Jahren 1966 und 1967 entstanden - u.a. im Vorfeld der Ausstellung "texto letras imagines" (Barcelona/Madrid 1967/1968) - programmierte Bilder, programmierte Texte, programmierte Typografik: Arbeiten, für die von Kirchberger das Bild-. von Döhl das Text- und von Hansjörg Mayer, der damals als Dritter hinzukam, das typografische Programm vorgegeben waren. Es ist kaum übertrieben, zu sagen, daß Kirchberger damals zum konkreten Dichter (Abb. 4) und Döhl zum Maler (Abb. 5) wurde, wenn auch in jeweils vorgegebenem Raster. Aber auch in einem ästhetischen Wechselspiel, das sich in der Korrespondenz zwischen Kirchbergers konkreten Texten und Döhls "sieben farben gedichten" andeutet, oder darin, daß Kirchberger eine Bildlösung Döhls ins eigene Oeuvre übernimmt.

Krefeld

1964 erhielt Kirchberger einen Ruf an die Werkkunstschule Krefeld (heute: Fachhochschule Niederrhein). Zwar kehrte er in den folgenden Jahren an Wochenenden und vor allem in den Semesterferien immer wieder nach Stuttgart zurück, aber Döhl folgte ihm auch mehrfach zu Vorträgen nach Krefeld. Das ergab für den Dialog, in den Ende der 60er Jahre auch Ulrich Zeh, dann Wolfganq Ehehalt eintraten, im Laufe der Zeit eine Stuttgart-Krefelder Achse, auf der sich der Fotograf Detlef Orlopp, der Maler Heinrich Goertz und vor allem - für "Das schwarze Loch" konstitutiv - der Typograf Manfred Kärcher und der Bildhauer Robert Steiger am Dialog beteiligten.

Hier, wo es ausschließlich um Kirchberger und Döhl geht, sind nach den gemeinsamen Arbeiten in den 60er, in den 70er und 80er Jahren wieder eine größere Menge Ausstellungseröffnungen und Katalogbeiträge zu notieren, aber auch eine größere Anzahl originaler Postkarten, mit denen Kirchberger Döhl über seine Werkentwicklung informierte.

Ägypten

Hinzu kamen zahlreiche Ateliergespräche, die besonders intensiv wurden, als Kirchberger 1979 erstmals nach Ägypten reiste. Vor allem den "Unterweltsbüchern", dem "Totenbuch" der Ägypter galt neben der künstlerischen Ausbeute damals das Interesse, Büchern, die Döhl im Sinne C.G.Jungs las. Lassen sich, fragten Kirchberger und er sich damals, die Ägyptenserien auch als Notate einer Reise durch die eigene Gegenwelt verstehen, eine Frage, bei deren Beantwortung Döhl freilich bald von Jung abwich.

Bemerkenswert ist, daß Kirchberger bei seinen Ägyptenzeichnungen zunächst erneut auf ein postkartengroßes Format zurückgriff, auf ein Format, daß ihm schon Anfang der 60er Jahre als Probierfeld für seine Malerei gedient hatte (ein Format, das auch Döhl seit Beginn seiner bildkünstlerischen Arbeiten als Notizzettel und Transportmittel seiner Einfälle bevorzugte).
Der Plan, noch einmal gemeinsam Text und Grafik zu integrieren, wurde zwar immer wieder besprochen, realisierte sich aber nicht mehr. Allerdings hatten beide, jeder für sich, seit den 60er Jahren an diesem Problem weitergearbeitet. Kirchberger z.B. in Bildern, die ihre Farben teilweise nurmehr verbal angaben. Döhl z.B. in den sogenannten "letters" vor allem des "StuttgartProspekts". Jetzt, in den 80er Jahren verbindet Kirchberger noch einmal beides, das Skripturale und das Grafische zu einer "Pyramide-Text-Pyramide" (1984). Aber auch die gelegentlich strukturierenden Einschriften in anderen Arbeiten der Ägyptenserien dürfen als ein später Nachklang der "TextGrafikIntegrationen" angesprochen werden.

Nachklang

Bild wurde - und das ist zugleich sein siebtes und letztes Kapitel - dieser Künstlerdialog jetzt nurmehr im Nachklang, sei es, daß beide Künstler Früheres wieder aufgreifen und es, jeder für sich und auf seine Weise, weiterführen, seien es Reflexe auf das Werk des anderen. So spielt zum Beispiel 1983 eine "Hommage à GCK" (Abb. 7) Skizzen und eine Zeichnung Kirchbergers von den "Ziegelöfen bei Luxor" (Abb. 6) an. Ein letzte Reflex datiert aus dem Jahre 1988. In seinem Fall kam es bei der Vorbereitung zu einer Ausstellung zur Diskussion über ein "Fensterbild" (Abb. 3), das Kirchberger später Döhl schenkte. Döhl "antwortete" darauf mit einigen "Doppelfenstern" (Abb. 10), die der künstlerischen, durch die Ägyptenreisen nachdrücklich geprägten Entwicklung Kirchbergers seine eigene, langjährige Auseinandersetzung mit der Kultur Japans (Zen, Sho) an die Seite stellen sollten.

Postscriptum

Günther C. Kirchberger konnte und wollte sich nicht - wie ursprünglich geplant und im vorgesehenen Umfang - an dieser Ausstellung beteiligen mit der Begründung einer Kornwestheimer Retrospektive, in deren Vorfeld eine Ausstellung seiner Arbeiten in Baden-Württemberg nicht gestattet sei. Das mußte respektiert werden. Da Kirchberger andererseits beim langsamen Zusammenwachsen des "Schwarzen Lochs" eine unübersehbare Rolle gespielt hat, jetzt, nach dem Kunst&Kompostkarten-Projekt Ehehalts und Döhls, in einem weiteren gemeinsamen Projekt zusammen mit Ulrich Zeh eine umfangreiche Kornwestheimer Spurensicherung vorantreibt, war es dennoch unumgänglich, seinen Beitrag wenigstens in Form einer Fußnote sowohl in der Ausstellung wie im Katalog zu dokumentieren.

[Druck pseudonym (= Traugott Schneider) in: Das schwarze Loch, 1992]
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Anmerkungen
1) Vgl. die Kataloge der Ausstellungen Krefeld (1965), Kornwestheim (1978), Sindelfingen (1981) sowie das von Döhl hrsg.e "Kunst Handwerk Kunst" (Kornwestheim 1985).
2) Bereits 1961 hatte Klaus Burkhardt ein Texte Döhls und eine Lithographie Pfahlers integrierendes "affiche"' gedruckt; 1954 entstand Textgrafik in Zusammenarbeit mit Hanne Brenken; 1965 zeigte Manfred Schmalriede in einer Stuttgarter Ausstellung Arbeiten, in die Texte Döhls integriert waren. Versucht wurden auch Integrationen von Text und Musik.