Kommentar:
[wird nachgetragen]
Teurer Bruder!
Ich lebe jetzt in Stuttgart, im
Hause meines innigen Freundes Professors Schwab, und meiner innigen Freundin,
dessen Gemahlin. Vielbereichert an schönen Erfahrungen über den
wahren Menschenwert, reicher an manchem Freunde und an Lebensmut und an
Selbstvertrauen bin ich geworden seit unserer Trennung.
Bruder! ich habe eine poetische Wallfahrt
gemacht zu Uhland, Maier, Justinus Kerner, habe Ebert hier getroffen, mein
ganzes Leben war ein höchst poetisches. Die lebhafteste Teilnahme,
die feurigste Ermunterung wurde mir zuteil von allen, die ich Dir genannt
habe und nicht genannt habe. Aber enthusiastisch war schon bei unserer
ersten Begegnung Schwab vor meinen Poesien ergriffen. Ich muß Dir
gestehen, daß es mir unendlich behaglich war zu sehen, wie jeder
bessere Gedanke sogleich zündete in dein empfänglichen Gemüte
dieses Mannes; [...] Am ersten Tage meines Hierseins führte mich Schwab
abends in einen Leseverein und trug hier mehrere meiner Gedichte selbst
vor mit großem Feuer. Als sich die Gesellschaft getrennt hatte, blieben
nur Schwab, ich und ein junger Dichter Gustav Pfitzer zurück. Da wurde
noch gelesen, getrunken, Bruderschaft getrunken und geraset auf mancherlei
Art bis spät nach Mitternacht; es war der 9. August. Einige Stunden
waren genug, uns zu Freunden zu machen.
[...]
Zumsteeg ist mein Liebling. O wie
schön sind diese Lieder! Zwar ist der Gang der Melodien so einfach
und schlicht, daß sie bei manchem Hörer ihre Wirkung verfehlen
können; aber wahre Empfindung kennt keinen Schmuck, Sie werden unwillkürlich
eine Parallele ziehen zwischen Zumsteeg und Schubert, Beide haben ihre
eigentümlichen Vorzüge. Der letztere dürfte mehr äußere
Ausstattung und Malerei für sich haben. Der erstere vielleicht tiefer
empfinden. Schubert scheint mir mehr unserm Schiller zu gleichen, dessen
bestechende Sprache, herrlicher Prunk und überraschende Gedanken schon
von ferne locken. während Zumsteeg ein Goethe ist, dessen Schöpfungen
einfach sind und, ich möchte sagen, unbekümmert um den Effekt,
den sie machen werden, in sich selbst versunken nur den wahren Empfinder
in ihre göttlichen Tiefen blicken lassen.
Beide diese Liedersinger bilden übrigens den lebendigsten Gegensatz zu den meisten übrigen Liedersetzern. Bei diesen ist die Begleitung des Liedes ein hölzernes Gerüste, das unter den Füßen der schwerfälligen Melodie poltert; bei jenen ein lebendiger harmonischer Strom, auf welchem der Gesang, ein seliger Schwan, sich dahinwiegt.
An Sophie Löwenthal, 1844
Liebe Sophie!
Beständiges Unwohlsein, Kopfschmerz,
Schlaflosigkeit, Mattigkeit, schlechte Verdauung, Rhabarber, Druckfehler
und Ärger über den trägen Fortschlich meiner Geschäfte
- das waren die Freuden meiner letzten Woche. Emilie will es nicht gelten
lassen, daß die Stuttgarter Luft nichts als die Ausdünstung
des Teufels sei: doch mir ist es zu auffallend, daß ich in Heidelberg
frisch und gesund war und nun, kaum wieder nach Stuttgart gekommen, bresthaft
und elend sein muß. Verdammtes Kloakental! Die Luft ist zwischen
diesen fleißigen und abgeschwitzten Weinbergen so dumpf und matt,
so verbraucht und beschmutzt, als wäre sie durch meilenlange Windungen
von Eingeweiden hindurchgegangen, ehe man sie in Nase und Lunge bekommt.
0 meine Nerven! mein unglückseliges Sonnengeflecht! Ich schnappe nach
Gebirgsluft wie ein Spatz unter der Luftpumpe. Wer mit Gemsen eine Luft
getrunken, atmet nicht behaglich bei den Unken. In vielen der hiesigen
Straßen riecht es am Ende auch lenzhaft, nämlich pestilenzhaft.
Und die guten Stuttgarter merken das gar nicht; süß duftet die
Heimat. Nur über ihre Gärten klagen sie, daß sich darin
das Ungeziefer immens vermehre. Ich aber glaube, daß in ihren Häusern
dasselbe zu beklagen wäre, wenn das viele und fanatische Fegen und
Scheuern nicht entgegenarbeitete. Indessen stimmt mich der malus Jupiter
dieser Gegend so melancholisch, daß ich die Ursache jener Insektenvermehrung
höher suchen muß. Die Naturforscher sagen, es altere unser Planet,
und so mögen denn die von Jahr zu Jahr fühlbarern Multiplikationen
des Geschmeißes ein wimmelndes Symptom des herannahenden Erdentodes
sein. 0 tragisches Ende der Welt: von Läusen gefressen zu werden;
phthiriasis universalis, gigantische Läusesucht! pfui!
Adieu, liebe Sophie! ich bin in einer abscheulichen Laune.
**
*
Kommentar:
Ein Jahr später wird die Gasbeleuchtung
in Stuttgart eingeführt.....
Einführung
des Nachtlebens
[Leserbrief an das "Stuttgarter
Tageblatt", 1845]
Durch Einführung der Gasbeleuchtung wird für die Stadtkasse eine große Last erwachsen. Ein Nachteil ist auch die Einführung des Nachtlebens in Handel und Wandel. Die Gasbeleuchtung veranlaßt überall, wo sie eingeführt wird, zunächst einige, dann alle Detailhändler, ihre Läden bis in die späte Nacht zu beleuchten und dem Publikum offenzulassen, weshalb sie und ihre jungen Leute genötigt sind, sich ihrem Geschäft auch in den Abendstunden zu widmen, statt wie seither der Ruhe, der geselligen Erholung und der Lektüre obzuliegen. Der Einsender kann darum die Einführung der Gasbeleuchtung nicht für einen Fortschritt halten.
**
*
Kommentar:
Eduard Mörikes brieflichen
Kontakte mit seiner Familie, seinen Landsleuten sind bekanntes Zitiergut.
Weniger bekannt ist, daß sich in dieser Korrespondenz gelegentlich
den Wispeliaden vergleichbarer herrlicher Unsinn findet, so das Sprachkauderwelsch
in einem Brief an Wilhelm Hartlaub aus dem Jahre 1857:
An Wilhelm
Hartlaub
[Stuttgart, 1857]
Sie, liewe Hochwüan, i konn Inne gor nit gnuch sogge wie mis fraat, ärschtens, doß Sie mi bai Inne loschian und zwaatens, daß Sie als a weng bombäagsch borlian un sogar Lust hätten, es aus'n Fundement ze lerne. Jetz verspreh i Inne, in ocht Tog sollens bombäagsch könn so gutt wie i. Wissens, i leans Inne nah mane Meddot - ohne Gramadik, ohne Sindox, ohne Lätzigon; norr von brackdisch. I les Inne z E. de "Bezaberte Rossen" von Scholze [Schulze] af bombäagsch voa, wissens!
Wie langsam norr die goldne BomeranzenDa's schön! Geltens? Ärscht letzhin hobb i'n großen Gläatn, den Brofesser Pschorr von München, auf der Eisenbohn gsprochn, der hot gsogt, nit französch, nit englisch wärd die Weltsprochn wäan, owa bomhäagsch!! Dees wäd ma sehn, eh viazg Johr vergehn! - Also af Widdersähn. Grüeßens alls häzlich mir, Ir liewe Frau und Döchter insbsunder. Wenns wollen, könnens die Fraanzimmer au an den Spochunterricht profitian.
Im wormen Strol der Sonne reifen tutt usw.
**
*
Kommentar:
Weniger bekannt sind auch die brieflichen
Kontakte Eduard Mörikes nach draußen, unter anderem zu Theodor
Storm. Mörike hat, wie sich den Briefen aus den Jahren 1853 bis 1865
ablesen läßt, mit seinen Antworten an Storm dabei, mehr als
bei anderen Briefpartnern, immer wieder gezögert und gewartet. Zitatbelege:
22. Mai 1853, April 1854, August 1855 und 10. Juni 1865. Während es
in den ersten Briefen vor allem um Publikationen geht , ist hier auch von
Portraits und einem damals üblichen Silhouettentausch die Rede.
Eduard
Mörike an Theodor Storm
[Stuttgart, im August 1855]
Welche liebliche Ausicht, mein teurer
Freund, Sie in Person hier bei uns zu haben! Meine Freude darüber
war so groß, daß das böse Gewissen, das Fünkchen
von Schrecken (der entsetzlichen Briefschuld wegen) augenblicklich darin
erlosch und unterging. Sonnabend, Sonntag, Montag, Dienstag, ein jeglicher
Tag, wo es taget und nachtet, ist gut, wenn er Sie herbringt. Eine kurze
Anzeige desselben wäre wohl recht, damit wir jeder möglichen
Störung und bösen Zufällen vorbeugen. Ich werde zur gesetzten
Viertelstunde, wenn Sie mir diese auch vielleicht bemerken könnten,
im Wartesaal des hiesigen Bahnhofs sein und meinen Mann aus den tausend
Gesichtern, nach dem über meinem Sofa hängenden Signalement,
auf den ersten Blick erkennen. Jenes Profil [von Konstanze Storm] aber
finde ich nicht - das ist leidig! Wir wollen es zusammen recht lebendig
unter seinem Glase werden lassen. Ich kenne Sie nun beinahe allesamt, von
den Enkeln hinauf bis zu den Großeltern. Es ist herrlich, was Sie
mir da neuestens wieder erzählen! - Von den Gründen meines non
scripsisse, die eigentlich ganz unergründlich sind, hier weiter nichts;
als daß mir wohl die Fülle und Güte Ihrer Gaben selbst
das erste Hindernis gewesen. Ich habe außer mir und den Meinen noch
ein paar gute Seelen damit erquickt, ja recht damit geprangt - und dennoch
blieb Dank und Erwiderung - in Hoffnung auf, ich weiß nicht was,
immer verschoben. Jetzt wissen wirs zwar. Also: tausend Willkommen! auch
von Gretchen und Klara.
Empfehlen Sie mich Ihren Eltern
innig und ehrerbietig.
Ihr treuer Mörike
Theodor
Storm | Besuch bei Eduard Mörike
Auf dem Bahnhofe in Stuttgart empfing
mich nicht Mörike, er gab gerade seine einzige Unterrichtsstunde (Literaturstunde)
am Katharineum, sondern sein Freund Wilhelm Hartlaub, der Pfarrer in der
Nähe ist, und Mörike oft besucht, ausgerüstet mit einem
lateinischen Beglaubigungsschreiben Mörikes. Auf dem Wege zu Mörike
erzählte er mir, daß dort, was ich noch nicht wußte, vor
vier Monaten ein Töchterchen, Fanny, angelangt und daß "der
Eduard" sehr glücklich sei. "Sie kommen zur glücklichsten Stunde",
sagte er, "der Eduard hat was vollendet, was von überwältigender
Schönheit ist.
Als wir anlangten, war Mörike noch nicht da. Hartlaub ging, die Frau Doktorin zu holen. Ich besah mir das Quartier. Sie wohnen drei Treppen hoch, sind einfach, aber behaglich eingerichtet. Die Möbel, wie überall im Süden, von Nußbaum, was mir sehr gefiel. An den Wänden einige gute Bilder und Raritäten. Aus dem Fenster sieht man zwischen den gegenüberliegenden Häusern hindurch auf Weinberge, die die Stadt umgeben.
Bald kam Frau Gretchen, eine schlanke Gestalt von 35 Jahren, mit edlen Gesichtszügen und besonders schönen, sanften und dabei doch schelmischen Augen, aber mit einem sehr wetterbraunen Teint. Frau Gretchen hieß mich im allerschwäbischsten Akzent willkommen und setzte mir zum Frühstück gesottene Kringel, ungesalzene Butter und Käse vor, nebst selbstgezogenem Wein, der natürlich wie Wasser aus Biergläsern getrunken wurde. Dann kam Eduard Mörike. Er sieht beweglicher, nicht so bürgerlich vornehm aus, wie auf dem Dir bekannten Bilde, obgleich er bei Gelegenheit sehr vornehm soll sein können. Denn ein hiesiger Bekannter, der ihn besuchte und wohl nicht recht mit ihm zu Gange gekommen ist, meinte auf diese Äußerung: "Den Teufel auch!" Seine feinen Züge sind etwas verfallen, er ist kränklich, Hypochonder, so daß ihm nur ein paar Stunden Arbeitsfähigkeit des Tages bleiben. Er ist jetzt 50 Jahre alt.
Er nahm mich bei den Händen, guckte mir in die Augen und sagte zu seiner Frau gewandt: "Gelt, Alte, so haben wir uns ihn ungefähr vorgestellt". Meine und Constanzes Bild hingen seit einem Jahre über seinem Sopha. Er ist in seinem Wesen ganz wie in seinen Schriften. Mir ist nie ein Mensch vorgekommen, der sich mit solcher Gegenständlichkeit ausdrückt.
Nachdem wir gegessen und Kaffee (dazu schwäbisches Gebäck) getrunken hatten, gingen wir, Mörike, Hartlaub und ich, ein paar Stunden meist in der Stadt spazieren Die Stadt machte mir durch ihre altertümliche Einfachheit einen behaglichen Eindruck, zumal auch die Kleidung der Leute mir hier viel anspruchsloser als im Norden erscheint. Dazu die freundlichen Weinberge, die man überall sieht, und dann war ich in so guter Gesellschaft. Nach Hause zurückgekehrt, zogen wir uns in das hintere Zimmer zurück. Mörike machte, obwohl es noch hell war, die Jalousien dicht, ließ eine Lampe bringen und fragte seine Frau, "ob sie was Warmes zu schlürfe hab". Dann Tee mit schwäbischem Gebäck. Mörike schleppte mir aus seiner kleinen Arbeitsstube seinen großen Korduanlehnstuhl herbei. Ich begann zu trinken und er las, und zwar gut und ohne Dialekt "Mozart auf der Reise nach Prag". Es ist ein kleines Meisterstück, worin alles frei erfunden ist. Bei einer Lesepause wandte sich Hartlaub ganz erregt nach mir um: "I bitt Sie", sagte er, "ist das nu zum Aushalte?" Es war in der Tat schön. Mörike ist ein eifriger Musikkenner, kommt aber mit seiner Liebe nicht über Haydn und Mozart hinaus, die er und Hartlaub "die Seligen" nennen, wie Schiller und Goethe. Tags darauf - ich logierte bei Mörike und schlief wie ein Prinz unter der schönsten, purpurseidenen Steppdecke - kamen meine Eltern und wir machten nun noch mit Mörike und seiner Schwester einen Spaziergang. Da hättest Du Mörike und meinen Alten Arm in Arm die Stadt beschauen sehen sollen, beide den Hut im Nacken und in der besten Laune.
An
Theodor Storm
Stuttgart, den 10. Juni 1865
Verehrter teurer Freund!
Gleich bei den ersten Zeilen Ihres
Briefes erriet ich alles! - ein angstvoll voreilender Blick auf die folgende
Seite bestätigte mirs. - Ich fing von neuem an zu lesen, und als ich
fertig war, vermochte ich lange nicht meine Leute zu rufen, um es ihnen
zu sagen. Mein erster Eindruck war ein dumpfer Schreck, ein verworrener
Schmerz, augenblicklich mit tausend bitteren Gedanken versetzt, die sich
wider mich kehrten. Um die reine Empfindung der edelsten Trauer und deren
Ausdruck Ihnen gegenüber sollte ich mich, so schien es, durch eine
Reihe unbegreiflicher Versäumnisse ganz und gar selbst gebracht haben.
Und doch kam es bald anders, es war etwas in mir, das mich auf Ihre Güte
hoffen ließ, nachdem dies redliche Bekenntnis abgelegt wäre.
Bester Mann, ich kann für diesmal nicht viel weiter sagen, allein,
ich komme sicherlich in nächster Zeit wieder.
Hier folgt das liebe Bild [Konstanzens]. Wie oft ist es die Jahre her von uns und andern beschaut und bewundert worden. Wir haben es zum Abschied noch alle einmal lange angesehen und trösten uns auf den von Ihnen gütigst verheißenen Ersatz.
Bei Ihrem letzten Büchlein ["Auf der Universität"] kommt die herrliche Beschreibung eines in Mittags-Einsamkeit von Bienen umsummten, blühenden Bäumchens. Diese Schilderung, mit der ich schon manchem Freund einen vorläufigen Begriff der süßesten Reize Stormscher Malerei gegeben habe, trat mir in diesen Tagen ungesucht auf einmal vor die Seele, und ich wüßte kein schöneres Bild für den stillen Verkehr Ihrer Gedanken mit der geliebten Frau im Nachgenuß alles dessen, was Sie an ihr hatten. Erhalten Sie sich Ihren männlichen Mut für das Leben, für Ihre ruhmvolle Tätigkeit nach mehr als einer Seite.
Wir grüßen Sie und Ihre Lieben auf das innigste, ich aber insbesondere bin mit unveränderlicher Verehrung und Anhänglichkeit der Ihrige
Eduard Mörike
**
*
Kommentar:
In Mörikes Briefwechsel kommt
Raabe nicht vor. Mylius, Schoenhardt und Speidel gleichfalls nicht, der
Verleger Hallberger ("es muss ein grosser Ochse sein", Brief an Hermann
Kurz) wird ebenso wie Albert Benno Dulk (der zusammen mit Scherer Mörike
1862 besuchte) nur einmal erwähnt. So wenig heute bekannt ist, daß
Raabes "Christoph Pechlin" ein im doppelten Sinne Stuttgarter Roman ist,
so wenig ist in Erinnerung geblieben, daß Raabe in einem Brief an
die Jensens die Stuttgarter zu Hippokäpoeriern zu Bewohnenr des Stutengartens
graezisiert hat (Hippokäpos = Stuten-, bzw. Pferdegarten). Der Briefwechsel
Raabe-Jensen, an dem die beiden Ehefrauen tatkräftig Anteil hatten,
gibt einen reizvollen, gelegentlich sogar ergreifenden Einblick in die
persönliche Atmosphäre eines Schrifststellerdasein 2. Hälfte
19. Jh.s (1867-1910), kaum sonst hat sich Raabe in Briefen oder sonst so
weit geöffnet und mitgeteilt.
Marie Jensen an Raabes
Flensburg am 31ten Mai 1869.
Liebe Raaben,
sonst, wenn wir lange schwiegen,
rieft Ihr: Na nu!, und jetzt rührt Ihr Euch nicht Weshalb ängstigt
Ihr Euch kein bischen um Jensens? In unserer Nähe zersprang ein Dampfkessel,
drei Häuser flogen in die Luft - wie leicht hätten wir mitfliegen
können! Uebrigens stand unser Haus auch recht lustig auf dem Kopfe,
und ich war just nicht in der Schreibelaune. Die silberne Hochzeit (an
sich ein schönes Fest), geliebte und ungeliebte Gäste, das menu,
große Rührung, Kochfrau, Kellner, Musikanten, Nachbarskinder
- 0 Gott, 0 Gott Raabe, Sie kennen ja meine träge Natur, oder natürliche
Trägheit s'ist doch Alles einerlei, denke ich immer, und verabscheue
jede Unruhe. Die Nachbarshäuser hatten geflaggt; Ständchen weckten
uns in aller Herrgottsfrühe: Wer hat dich du grüner Wald - und
- "Gott erhalte Franz den Kaiser" - Wilhelms Zimmer mit den "Colossalbüsten"
war natürlich herrlich mit Buchenlaub und Guirlanden decorirt; Mama
sah sehr jung und hübsch aus, und bei Tische lief Alles gut ab, ganz
ohne Störung. Nachmittags Wasserfahrt in verschiedenen Segelböten
(o wäret Ihr dabei gewesen, Raabe, wißt Ihr, was ich Euch gesungen
hätte?) Abends Ball. "Wir haben immer immer Dein gedacht, ich wollte
schlafen, doch ich mußte tanzen." - Eine wunderliche Neuigkeit habe
ich Euch mitzutheilen, horcht, Raaben, und dann steckt die Köpfe zusammen
Ich werde geliebt. werde furchtbar geliebt - von Wilhelm ganz abgesehen.
Und denkt Euch, dieser Holzklotzpflock Wilhelm ist kein bischen eifersüchtig,
nein, es freut ihn unmenschlich. Mir ist es. obgleich schmeichelhaft, doch
höchst unbehaglich. Wären wir nur erst in Glücksburg! Heute
habe ich viel in meiner Stuttgarter Chronik gelesen und viel an Euch gedacht.
Der Mai wimmelt aber auch von Erinnerungen an Euch. Am l7ten schenkten
Sie mir Hortleder in Schweinsleder, es war ein Sonntag; Nachmittags suchten
wir die ersten Maiglöckchen im Walde. Erinnern Sie sich noch, Raabe?
Am 20ten Mai waren wir auf dem Stauffen, verhängten um 3 Uhr Morgens
den Sonnenaufgang, tanzten, und wanderten durch verzauberte Gegenden. Ich
sage heute noch, wir hätten den Rehberg gefunden, wenn er
nicht seiner eigenen Nase nachgegangen wäre. Am 23ten waren wir mitsammen
auf der Karlslinde, aßen nachher in einer Kneipe Rettig (wobei Sie
sich erkälteten); am 24ten tranken wir Waldmeisterbowle, er las Balladen,
ich sang "Schäferin ach -"; am 26ten waren wir bei Hackländer,
(die italienischen Nächte hatten dort begonnen) am 27ten saßen
wir bei Kolb (ich als Ehrenmitglied der Deutschen Partei); den 29ten beschlossen
wir bei Kögler - dann machten Sie Quackeleien und wir sahen uns mehrere
Tage lang nicht. 0 Raabe, was steht noch Alles in dem dicken Buche! Wenn
Ihr zum Besuch nach Flensburg kommt, sollt Ihr's lesen. Würdet Ihr
Euch nicht auch freuen den Kuckuck und alle Herrlichkeiten wieder zu sehen?
0 wenn Ihr kämet, ich glaube, wir würden ganz toll vor Vergnügen.
Raabe, wie heißt König Ringgangs Töchterlein? "Rothtraut,
schön Rothtraut", das singe ich jetzt.
Hört einmal, Kinder, animiert uns ja nicht zu sehr nach Stuttgart zu kommen! Wir wären sonst im Stande unser nächstes Novellenhonorar draufgehen zu lassen. Oder kommt in den Harz; wir treffen uns dann auf dem Hexentanzplatz. Was habt ihr den eigentlich vor? Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre es dies: den 8ten Sept. 1869 mit Euch in Flensburg Kattsund 606 im geschnitzten Zimmer des Hinterhauses zu verleben. Und haben wir Euch erst, dann kommt Ihr "für's Erste" nicht wieder weg.
Kommentar:
Aus der Reise wird nichts. Aber
die Jensens kommen nach Stuttgart und fahren mit Raabes gemeinsam nach
Brengenz und in die Schweiz. 1 Jahr später verlassen auch Raabes Stuttgart,
wenn auch in Richtung Braunschweig.
Wilhelm und Bertha Raabe an Jensens
Stuttgart d. 6 Juni 1870
Liebe Freunde!
Ihr habt es eben gut; Ihr sitzt
noch zwischen den Holundern und Maiblumen; während wir schon längst
bei den Kirschen angekommen sind. Ihr schreibt vortreffliche Trauerspiele
in Jamben; während Unsereiner seine langweiligen Romane in Prosa abspinnt.
Ihr in Euerer fröhlichen jugendlichen Unverschämtheit macht Euch
nicht das geringste Gewissen daraus, Antwort zu verlangen auf Briefe, die
Ihr gar nicht geschrieben habt: wir sind allmählig so bescheiden
geworden, daß wir sogar unfrankirte Couverts, die nichts enthalten,
als aufgeklebte Ausschnitte aus Flensburger "Norddeutschen" Zeitungen und
Prager "Studenten" Jahresberichten mit herzlichem Dancke bezahlen und annehmen.
Wahrscheinlich habt Ihr sogar auch schönes Pfingstwetter!
Ihr habt es sehr gut. Ihr habt Euern Einzug in die Rathhausstraße gehalten; wir haben unsern Auszug aus der Hermannstraße noch vor uns. Ihr bietet uns Quartier an ("das Gebäude, welches die Straße abschließt, ist der Bahnhof!"); wir wissen nicht, wo wir unser Haupt niederlegen sollen. Geld habt Ihr auch mehr als wir; denn wir haben eigentlich gar keins; - Ihr habt es von Zeile zu Zeile, je mehr ich darüber nachdenke, besser!
Lieber Gott ja, den Schüdderump habe ich geschrieben: aber ich will es ganz gewiß nicht wieder thun. Die Buchhändler haben auch gleich das richtige Verständniß dafür gehabt; sie bedankten sich dafür, wie Ihr wißt. -
Neues giebt es in Stuttgart nicht, als daß Otfried Mylius den Staatsanwalt Schönhardt, den Professor Speidel und den Doctor Dulk zum Duell gefordert hat.
Mit herzlichem, herzlichem Gruß
[in Sanskritlettern geschrieben]
WRaabe
des Sanskrits Beflissener
[B.R]
Neues giebt es freilich nicht in
Stuttgart, neu ist mir aber, daß man Stuttgart Lebewoht sagen muß,
um bei den Leuten darin beliebt zu werden. Alles schreit u[nd] raufft sich
fast die Haare aus, daß Wilh[elm] Raabe sobald Stuttgart verlassen
will, nachdem er 8 Jahre hindurch ungesehn und ungekannt täglich nach
dem Museum gewandert ist. Ohne Liebeszeichen u[nd] Dankesworte schrieb
er in Stuttgart "Die Leute aus dem Walde" den "Hungerpastor", "Abu Telfan",
den "Schüdderump". Die Zeit war den Leuten zu kurz um mit ihn bekannt
zu werden. Abschiednehmen u[nd] das brüderliche "Du" schwebt auf allen
Lippen. Hallberger gab ein schönes Diner in Ober-Türkheim, eine
Maibowle in Eßlingen den Stuttgarter Schriftstellern. Hallberger
ließ die Schriftsteller leben, Hallberger den "uns so bald verlassenden
Wilh[elm] Raabe"! Den Schüdderump schickte er ihm freundlichst grüßend
zurück, und jetzt will er ihm extra ein Haus bauen lassen, wenn er
bleiben will. Marien's Auszug "aus einer Recension über den "Schüdderump"
hat Wilh[elm] sehr gefallen; er gesteht es zu den Schüdderump geschrieben
zu haben, und bereut es auch gar nicht; wenn nicht vielleicht Wilh[elm]
Jensen zuviel dagegen zu sagen weiß, der ihn aber wahrscheinlich
gar nicht gelesen hat. Gott verzeih ihm seine Sünde! -
Der Gesundheitszustand in Hause der Hermannsstraße N 11 war sehr mittelmäßig. Ein Mädchen wurde in's Spital geschafft, die Kinder im 3ten Stock waren wieder krank. Dct. Teuffel kam lange täglich; nicht in gelben Piqué wie andere Leute, sondern halb weiß halb schwarz d.h. nicht gestreift, sondern schön wie Adonis schwarzer Rock, weiße Weste, weiße Chabothemd, weiße Pantalons, schneeweiß, feinst u[nd] mit Geruch, d.h. mit Wohlgeruch. Seine Frau ist uns bis heute noch unbekannt.
Eine neue Persönlichkeit für Stuttgart ist Willibald Winkler aus Chicago, mit engagirter Redacteur od[er] Mitarbeiter für Über Land und Meer. Zweimal war er im Hause und machte leider nur meine Bekanntschaft. Wilh[elm] lebt fort wie immer, in u[nd] außer dem Haus, außer dem Hause in einem schäbigen Rock, im Hause in einem neuen Schlafrock, ich bin die alte in u[nd] außer dem Hause
Eure Bertha
**
*
Saphir an
die Geliebte.
[...] und
legt einen Frühling in mein Wesen, und ein würdevoller Schein
verbreitet sich aus ihm und, ißt Frühlingsgrün um mich
entstehen, und Lenzeslust und einen langen, blaugedehnten Himmel, und die
irrigste, zarteste, heiligste Liebe zu Ihnen faßt mich an, wie ein
Gebet mit weißem, reinen Fittig, und zieht mich in' Geiste zu Ihren
Knien nieder, und mein Sehnen löst sich auf in heißen Tropfen,
die auf die Hand - Dir, Angebetete mit den Gnadenarmen, in stiller Verehrung
niederrinnen. Ich liebe Dich, ich bete Dich an und ich bin glücklich!
Die Erde lächelt, der Himmel strahlt in Milde, mit Lilienstäben
in der Hand umgeben mich die reinen Gefühle, die ich für Dich
im Herzen trage, ein leiser Ton strammer Glocken, tönt's in mir und
die Welt zerrinnt in einer allgemeinen Befriedigung!
Ja, süße
Frau, mit dem Märchenauge, und mit dem Sonnenblick, mit dem Feenlächeln,
mit der Stirne wie eine Muse, und mit dem Lächeln wie ein Engel, mit
den Schultern wie ein Genius und mit dem Leib wie ein Wundertempel, mit
dem Wort wie ein Madrigal und mit dem Gang wie eine Melodie, ja, süße
Wunderfrau, Sie haben, ohne es zu wissen und zu wollen, mir den Stein der
Weisen in die Seele gelegt; die Liebe!
[...] Dank
Ihnen, Dank! Möge Tags über der Engel des Lebens goldene Kreise
um Ihr Dasein ziehen, möge Abends die Fee der Dämmerung zu Ihrem
Haupte stehen, und Ihre dunkeln Locken kränzen mit Reihen von Edelsteinen,
die da funkeln von Glück und Freude: möge in der Nacht der Traumkönig
und seine Braut auf Ihr keusches Lager ausstreuen duftende Blätter
und leuchtende Blumen, und vor Sie hintreten lassen, was Sie nur lieben
herzinnig und ersehnen inbrünstig, alle Freuden ihrer Kindheit, [.
.] und alle geflügelten, beflammten Gebete, die Sie in dankbarer Andacht
vor dem Tische des Herrn vergossen haben.
[...] Die
Welt nennt das "schwärmen"! Die arme selige Welt! Die bedauernswerte,
kranke, sieche, hilflose Welt!
[...] Gute
Nacht, süße Wunderfrau! Ich sehe, wie der Milchbruder des Todes,
der Schlaf, sich mit leisen Weben, in immer kleineren Kreisen auf Ihr edles
Haupt niederläßt, [...] und all' mein Herz kniet vor Dir, und
singt Dir zu. Gute Nacht! Schlaf in Ruh! Schließe sanft Dein Auge
zu!
Schlaf in
Ruh', gute Nacht, Lieb' an Deinem Bette wacht!