Reinhard Döhl | Künstleralphabet | Kei Suzuki

Pressespiegel

page in progress
update will follow

Abseits der Handelsstraßen: Reinhard Döhls japanisch-deutscher Kulturaustausch. Schreibkunst und Lebenskunst. (Peter Kümmel)
Der technologische Austausch zwischen Japan und Europa hat die Dimension eines reibungslosen, aber gewaltigen Kreuzzuges: die Ost-West-Verbindung ist der breiteste Handelsweg aaller Zeiten (keine Salz- oder Goldstraße, sondern eine "Soft- und Hardware-Straße"). Und der kulturelle Austausch? Der kann, zum Beispiel, in einer kleinen Küche in Stuttgart-Botnang stattfinden.
Da sitzt dann Reinhard Döhl, 55, Stuttgarter Literaturprofessor und Pionier der konkreten Poesie, mit seinen japanischen Gästen, Herrn Syun Suzuki, 58, und dessen Bruder Kei, 39. Man verständigt sich auf deutsch, japanisch, englisch, und bisweilen versenken sic alle drei für Minuten in ihre "Langenscheidt"-Bändchen, auf der Suche nach dem verlorenen Wort. Deutsch-japanischer Kulturaustausch spielt sich in der Stille ab, im Schrittempo. Ein Beweis: Wenn Syun Suzuki auch einer der wichtigsten Lyriker und Essayisten seines Landes, sein Bruder Kei ein großer Meister der japanischen Schriftkunst "Sho" ist - die Stuttgarter Kulturbeamten haben sich nicht dafür interessiert. Reinhard Döhl hat seit Monaten versucht, Kei Suzuki hier eine Ausstellungsmöglichkeit zu verschaffen. Gelandet ist man in der Volkshochschule Aalen. Aber lassen wir das.
Syun und Kei Suzuki (es besteht keinerlei Verwandtschaft mit irgendwelchen Wirtschaftsbossen) haben zwar verschiedene WEege gewählt, sich künstlerisch auszudrücken. Aber beide arbeiten auf dasselbe Ziel hin, und das heißt: Stille, Leere, Nichts, auf japanisch Mu.
Syun, der Poet, hat ein brennendes Interesse an der europäischen, speziell an der deutschen Kultur. Er hat das Werk des Dichters Joachim Ringelnatz ins japanische übersetzt (siehe seine nenbenstehende Übertragung des berühmten "Bumerang"-Gedichtes), und er ist an der großen japanischen Rilke-Gesamtausgabe beteiligt. "Ich bin", erzählt Syun, in einer Fußnote auf den Namen Erika Mitterer gestoßen. Mit ihr führte Rilke seit 1924 seinen 'Briefwechsel in Gedichten'. Ich erfahr, daß Erika Mitterer noch lebt und fuhr zu ihr nach Wien. Seit zehn Jahren stehen wir nun miteinander in Kontakt."
Syun Suzukli hat sich in Japan ein dichtes Netz von Germanisten und Literaten aufgebaut. Gemeinsam übersetzt man deutsche Texte, entdeckt junge europäische Autoren für Japan. Reinhard Döhl sagt: "Es ist eine schöne, für uns leider ziemlich fremde Erfahrung, wie selbstverständlich sich die Japaner  in den Dienst einer Sache stellen, wie intensiv und uneitel sie zusammenarbeiten."
Kei Suzuki sitzt während unseres Gesprächs mit gesenkten Lidern am Tisch. Seine erste Arbeitsbedingung ist die Konzentration, und Kei wirkt, als sammle er fortwährend Ruhe, Kraft und Stille. Kei ist Sho-Meister, ein Meister der japanischen Schriftkunst. "Ich werde", sagt Kei, "noch sehr lange brauchen, um das Wesen von Sho zu begreifen. Das ist ein lebenslanger Prozeß." Sho ist die Kunst, die chinesischen, auch in Japan verwendeten Schriftzeichen (Kanji) so zu schreiben, auf Maulbeerbaumpapier zu malen, daß sie zum unverwechselbaren Ausdruck der eigenen Person werden. "Wenn ein Anfänger diese Schriftzeichen malt", sagt Reinhard Döhl, "kommen nur Schreibspuren heraus. Bei einem Meister wie Kei entstehenm Lebensspuren." Kei hat Sho von frühester Kindheit an studiert, bei seinem Vater, später an der Universität Tokio, zuletzt bei dem berühmten Sho-Meister Yasusi Nishikawa. Das Prinzip Sho lautet: Schreiben, um dem Absoluten nahe zu kommen. Vor dem Papier kniend, konzentriert sich Kei, und das kann lang dauern. "In diesesr Zeit", sagt er, "muß der Kopf leer werden und das Herz voll." Der Schreibakt dauert kaum länger als eine Minute und ist von atemberaubender Akkuratesse: der Pinsel, vollgesogen mit einer duftenden Tusche aus Kiefernholzruß und Leim, wird zum Energieleiter. Der Sho-Meister Morita Shiryu hat es so beschrieben: "Zehnmal, sogar hundertmal muß ich neu schreiben. Jedesmal, wenn ich mit meiner Arbeit nicht zufrieden bin, prüfe ich meinen inneren Zustand, ehe ich die unbefriedigenden Formen und Linien entdecke. In der Tat, die meisten Fehler an meinem Werk haben ihre Ursache weit eher im inneren Seelenzustand als in der technischen Unzulänglichkeit. Auf diese Weise versuche ich durch Sho-Schreiben mein Ich zu finden."
- Am Samstag, 11 Uhr, gibt Kei Suzuki eine öffentliche Demonstration seiner Kunst. Nicht in Stuttgart. Sondern in Aalen (Volkshochschule, im Torhaus). Der Weg lohnt sich. Sogar der Dämon weint. Der japanische Sho-Meister Kei Suzuki bei Kolczynski. (Nikolai B. Forstbauer)

Er lebt in der Riesenstadt Tokyo und arbeitet doch an der Vervollkommnung einer altjapanischen Tradition: Kei Suzuki, Meister und Lehrer der "Sho"-Kunst. "Sho" hat auf den ersten Blick mit Kalligraphie und auf den zweiten mit der abstrakten Malerei der fünfziger Jahre zu tun, zumindest aber winkt scheinbar die "Ecriture automatique" der Surrealisten aus den kunstgeschichtlichen Schubladen. Doch leider: mit all dem hat Sho gar nichts zu tun.
Es geht vielmegr, die der Meister Ijima Tsutomu sagte, um die "unendlich vielen Möglichkeiten, die eigene Freiheit zu behaupten und dem Zeichen die Gestalt zu geben, wie sie dem eigenen absoluten Leben entspricht". Das vielgebrauchte und oft mißbrauchte Wort "Selbsterfahrung" kommt zu seinem Recht, wenn Kei Suzuki betont, daß die entstandene Form des jeweiligen Wortes ihm Rückschlüsse auf den Zustand der Seele ermögliche. Meister Motita Shiryu sagt hierzu: "Jedesmal, wenn ich mit meiner Arbeit nicht zufrieden bin, prüfe ich meinen inneren Zustand, ehe ich die unbefriedigenden Formen und Linien entdecke. In der Tat, die meisten Fehler an meinem Werk haben ihre Ursache weit eher im inneren Seelenzustand als in der technischen Unzulänglichkeit. Auf diese Weise versuche ich durch Sho-Schreiben mein Ich zu finden."
Reinhard Döhl, in Stuttgart weniger als Künstler und Ausstellungsmacher denn als Literaturwissenschaftler bekannt, bringt die Selbstbefragung auf die Formel: "Wenn im Blatt was nicht stimmt, stimmt mit mir was nicht." Döhl, nach mehreren Japan-Reisen selbst der Faszination "Sho" erlegen, holte Suzuki nach Stuttgart - in der Galerie Folkmar von Kolczynski (Schloßstraße 85) demonstrierte der Sho-Meister seine Arbeitsweise.
Suzuki betastet das Papier - gemalt bzw. "geschrieben" wird nur auf der glatten Seite -, legt das dünne Blatt auf eine Unterlage und beginnt, Tinte ("Boku") zu "reiben". Döhl: "Die Tusche besteht aus einem länglichen harten Block, der zum Beispiel aus Kiefernholzruß und Leim unter Zugabe von Duftstoffen gepreßt wird." Suzuki vergewissert sich daraufhin der Zeichens "Hogetsu" - "im Mondschein gehen" - taucht den gewählten Pinsel in die Tusche und setzt an: in weniger als einer Minute ist alles vorbei - fast alles. Denn das Wichtigste, der Stempel als Zeichen des Künstlers wie als formaler Spannungspunkt, fehlt noch. Aus Speckstein sind die Stempel der Sho-Meister geschnitten, und stets werden sie in Rot getaucht.
Rot (Stempel), Schwarz (Tusche) und Weiß (Papier) reichen den Sho-Künstlern als Farben, kommt es ihnen doch auf den sichtbaren Ausdruck ihres inneren Zustands an. "Sansei" - "immer wieder nachdenken über sich selbst" - heißt denn auch eines der zentralen Blätter in der noch bis zum 28. April zu sehenden Ausstellung.
"Die Blätter sind Spiegel meiner Seele, und das können Sie nur erfassen, wenn Sie ein Wort mehrere Male geschrieben sehen", begründet Suzuki die Schau. Tatsächlich unterstreichen gerade die feinen Unterschiede zwischen denselben "Wörtern" den Reiz der Sho-Kunst.
Als "Lebenspuren" bezeichnet Reinhard Döhl das "Schreiben" von "Sankai ("Das Herz frei") oder "Kikoku" ("Sogar der Dämon weint"). Die Meister beschreiben das Lernen von Sho "als lebenslangen Prozeß". Demnach hat Reinhard Döhl noch eine Menge vor sich: Auch er zeigt "Sho-Arbeiten - rot und an der richtigen Stelle gestempelt.

[B.S.]: Denkformen
Sho-Malerei bei Kolczynski

Die Sho-Malerei ist mehr eine Kunst des Denkens denn des Berechnens. Die Tuschezeichen auf den zart strukturierten
Maulbeerblattbögen sind lediglich das Endprodukt tiefer gedanklicher Konzentration und Meditation. Der große japanische
Zen-Meister Suzuki, als Zen-Künstler immer auch Philosoph und Verfasser verrätselter Aphorismen, verweist auf die fast
zweckgebundene Mittlerfunktion japanischer Tuschemalerei mit den Worten: "Die Kunst ist vollkommen erst, wo sie aufhört, Kunst
zu sein, das heißt, wenn sie die Vollkommenheit des Kunstlosen erreicht".

Reinhard Döhl, Literaturprofessor an der Stuttgarter Uni, früheres Mitglied der Konkreten~Poesie-Schule um Max Bense und
Verfasser von Hörspialen und Schriftbildern, hat sich in der Galerie von Kolczynski (Schloßstraße 85) nicht nur mit der japanischen
Denk-Kunst kunstvoll auseinandergesetzt, sondern auch dem Vergleich mit dem Tokioter Sho-Meister Kei Suzuki, ein Nachfahre
des großen Zen-Priesters, bis zum 28. April ausgesetzt Seit 1962 beschäftigt Döhl sich mit der abstrakten Schriftkunst, die das
Niemandsland zwischen Schrift und Bild, zwischen kalligraphischem Symbol und eigenständiger Form markiert; doch sie zu
begreifen ist, wie Suzuki sagt, "ein lebenslanger Prozeß".

Im Vergleich zu den mit "immer wieder Nachdenken über sich selbst" oder "das Herz frei" intitulierten Tuschebildern Suzukis fällt es
schwer zu erkennen, ob die Schriftrollen ähnlichen Längsformate Döhls lediglich die "Schreibspuren" eines "Anfängers" oder die
"Lebensspuren" eines "Meisters wie Suzuki" - so differenziert er selbst - darstellen. Die graphische Schönheit der kraftvoll bis leicht
wirbelnden Tuschebahnen besticht zwar, Sinn und Inhalt, an denen sich auch formale Qualitäten ablesen ließen, bleiben dem
westlichen Betrachter jedoch gänzlich verschlossen.

Mit dem Auge das Herz rühren / Der Sho-Meister Kei Suzuki im Treffpunkt Rotebühlplatz (Petra von Olschowski) Ein Poem geht auf die Reise / Die Kunst des Kettengedichts in einer ,,poetischen Korrespondenz''. (Rainer Wochele) "Japan zu Gast in Bad Wildbad" vermittelt fernöstliche Impressionen. (NN)

[...] In der Trinkhalle sind gleich mehrere Ausstellungen zu sehen. So zeigte und erklärte Dr. Kuolt Originalfotos von Baelz, die dieser mit einer "Reisekamera"aufgenommen hatte, wobei die vor rund 100 Jahren belichteten 1000 Glasplatten vor nicht allzuz langer Zeit erst wieder aufgefunden wurden und Bilde aus dem Alltagsleben Japans sowie anthropologische Studien zeigen. "Sho" nennt sich die japanische Kalligraphie, wobei dies [sic] allerdings im Gegensatz zur euopäischen Bedeutung dieses Wortes keineswegs um "Schönschreiben" handelt, sondern um den richtigen Ausdruck eines Zeichen im Zusammenhang mit dem Begriff, der dargestellt wird. Es ist gleichermaßen Schriftzeichen als auch abstrakte Kunst. Drei Künstler stellen in der Trinkhalle aus: Kei Suzuki (geb. 1950), Hiroo Kamimura (Jahrgang 1930) und der 1934 geborene Reinhard Döhl, der Künstler und Literaturwissenschaftler ist, seit 1962 Kontakt zur japanischen Kultur hat und 1996 Gastprofessor in Osaka war. Döhl und Suzuki haben unter anderem ein Werk gestaltet mit dem Titel "Bei Mondschein im Schwarzwald spazierengehen". Suzuki selbst meint zu Sho: "Wichtig ist vor allem eins, man schreibt nicht mit dem Kopf.Man muß den Kopf leeren und das Herz voll machen. Dann erst kann man schreiben."

Der Kopf ist leer, das Herz ist voll. Eine Demonstration der japanischen Sho-Kunst in der Buchhandlung Julius. (Cord Beintmann)

Eine ungewöhnliche Vernissage hat jetzt die Buchhandlung Julius geboten. Zu sehen war ein Künstler bei der Verfertigung von Kunst, ein Sho-Meister. Sho-Künstler arbeiten mit Pinsel und Tusche auf Papier. Bei Julius wurde der Boden mit Zeitungspapier ausgelegt, darauf gebettet ein weißes Blatt, beschwert mit Steinen.

Dann konzentrierte sich Kei Suzuki aus Tokio auf seinen Schöpfungsakt. Das Thema: "Black Forest". Mit einem seiner neun Pinsel strich er, noch ohne Tusche, über das Papier, nahm dann Tusche auf und setzte zwei höchst spannungsvolle Linien auf das Blatt. Stark abstrahierten Bäumen ähnelt die eine der Formen, die andere, für "Black" stehend, ist ein aussdrucksstarkes Kreisgebilde. Siebenunddreißig Sekunden währte das spannende Kunstereignis, dem noch zwei weitere Malakte folgten, von denen einer gerade zehn Sekunden dauerte.

Dazu seufzte der Künstler vernehmlich. Denn wichtig ist bei der Sho-Kunst, zunächst "den Kopf leer und das Herz voll zu machen". Beim Führen des Pinsels komme es dann auf das "innere Lebensgefühl" an, erläuterte Reinhard Döhl, der Stuttgarter Literaturwissenschaftler, Autor und Künstler. Döhl ist ein Sho-Schüler des knapp fünfzigjährigen Kei Suzuki und hat sich schon mit Suzuki in dessen Tokioter Wohnung (mit Blick auf den Fudschijama) in der Sho-Kunst geübt.

Eine sehr kraftvolle und dynamische Ausstrahlung haben die Blätter Suzukis, die jetzt in der Buchhandlung Julius zu sehen sind. Es dominiert ein tiefschwarzer oder blaugrauer Pinselstrich, der bisweilen zart ausfranst. Wie Kalligrafie wirken manche der Arbeiten Suzukis. Doch mit "Schönschrift" hätten diese Arbeiten, so erklärte Döhl, nichts zu tun, auch nicht mit abstrakter gestischer Malerei. Entscheidend sei die "Linie in Bewegung". Dennoch basiert die Sho-Kunst auf Schriften, von denen der Künstler eine Vielzahl zur Auswahl hat. Wesentlich ist die künstlerische Freiheit. Sho-Arbeiten bedeuten auch eine Befreiung von den japanischen Schreibnormen.

Eine gewaltige, achtzehnteilige Arbeit ist bei Buch Julius zu sehen. Suzuki hat mit ihr ein Gedicht aus dem neunten Jahrhundert verbildlicht. Faszinierend ist dieser Blick in eine sehr fremde künstlerische Welt, die übrigens in Japan sehr populär ist, allemal.

Die Ausstellung der Arbeiten Kei Suzukis ist bis 31. Dezember bei Buch Julius zu sehen.