Albrechts Privatgalerie | Künstleralphabet | Kirchberger

Reinhard Döhl | Entwurf für einen Katalog[text] Günter C. Kirchberger

Biografie
Günther C. Kirchberger, geboren 1928 in Kornwestheim, Württemberg, Studium an der Saatlichen Akademie Stuttgart und Universität Tübingen, Gründung der "Gruppe 11", 1955, lebt in Stuttgart, Johannesstraße

Portrait
An Stelle von Städten Städte sind keine Großstädte Städte Salons sind keine Salons Madame Récamier aber Yves Klein sagt er sagt er und spricht von Turner von Tobey spricht er legt Hand an Uhren aus Spaß legt er Leinwand Papier bemalt er bemalt er nicht bemalt er in Bausch und Bogen alle Städte Städte sind keine Großstädte Städte alte Städte Salons mehr
Liest jeden Tag Zeitung Zeitung zwei Zeitungen spricht langsam trinkt Wein lehr Kinder Englischreden manchmal auch malen malt selbst aber Städte Städte sind keine Großstädte Städte sind keine Großstädte Städte Salons sind keine Salons Salons mehr wenn Städte Städte sind keine Großstädte Städte sind keine Salons Salons mehr Salons sind keine Salons mehr aber alte Städte alte Städte sind keine Großstädte Städte Salons mehr

Ausstellungen
In Stuttgart München Heidelberg Baden-Baden Zweibrücken Frankfurt am Main London Brüssel Rom Grenchen Schweiz etcetera und Arbeiten in privaten und öffentlichen Sammlungen im In- und Ausland

Konzeption und Repertoire
Es geht um das Problem der Selbständigkeit der Farbe, weniger um das Problem der Selbständigkeit der Form, an die Kandinsky ja auch gedacht hat. Günther C. Kirchberger tut nicht nur so, er malt abstrakt. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. auch hält er die Entdeckung eines physikalischen Prozesses nicht gleich für die Erfindung eines neuen Kunststils. auch das ist heute nicht selbstverständlich. Günther C. Kirchberger bevorzugt mittlere und große Formate. Die mittleren setzen ihm mehr Widerstand entgegen. Deshalb malt er mit ihnen und darauf seine besten Bilder. War er ursprünglich von der völlig zugemalten Fläche ohne eindeutige Farbigkeit ausgegangen, von enger Struktur und beschränkter Chromatik, so kehrte er 1959/1960 noch einmal zu der zugemalten Fläche zurück, bei Vorherrschaft der Farbe Es gibt aus dieser Zeit ein rotes Bild: helleres Rot befindet sich in und auf dunklerem Rot. Was sich später als Fläche bezeichnen läßt, tritt auf und hervor. Am oberen Rand und zwischen den Rots werde Spuren von Schwarz sichtbar, die im Hintergrund bleiben. Dieses Bild ist eine deutliche Demonstation gegen eine beliebige Fortsetzbarkeit des Tachismus auch in den Bildern der monochromen Malerei (und Kirchberger hat den Tachismus zweifellos gestreift), wie dieses Bild auch eine Demonstration für das Format scheint, das nicht über seine einmalige Vorwahl und Bestimmung hinaus nach allen Seiten hin beliebig fortsetzbar und vergrößerbar ist, vorausgesetzt, daß man es überhaupt zu füllen vermag. Kirchberger malte weiter. Grundierte Leinwand wird sichtbar, die die Farbmassen zusammensehen läßt. Farbmassen treten zusammen als sich konstituierende Flächen. Das Schwarz verläßt den Zustand der Spur und drängt sich in Gegensatz zu roten braunen grünen blauen möglichen Flächen in den Vordergrund als möglicher Gegensatz. Dabei kann es als Fläche erscheinen. Manchmal erinnert es auch entfernt an die Gitter Soulages'. Dieser Wirkung entzieht sich Günther C. Kirchberger, indem er Zeichnungen einritzt, die den flächigen Hintergrund ersichtlich machen. Balkenähnliche Gebilde tauchen auf der freigewordenen Leinwand auf und durchqueren die Bildfläche von oben nach unten. Die Spuren der Herstellung sind unverändert sichtbar.

Literatur
Nikolaus Richter, Die Kultur, München 1957; Lawrence Alloway, Art International II, 1, 1958; Maurice Bilcke, Art International II, 1, 1958; Cottie Burland, Art News and Review, London 1959; J. Reichardt, Art News and Review, London 1959; Jean Y Mock, Apollo, London-New York 1959 etcetera

Context
Massen von Farben treten auf aufeinander zu aufeinander wie Rot auf Rot eins zum andern eins in eins. Spuren sind sichtbar. Spuren von Schwarz tauchen aus dem Hintergrund auf und lassen Flächen erscheinen. Farbflächen erscheinen in Massen von Farbe die zusammentreten. Massen von Farbe ziehen sich in sich selber zurück. Bloße Leinwand erscheint und treibt Massen von Farbe vor sich her und zusammen zu flächigen Teilen. Flächige Teile des Bildes schieben sich in und aufeinander und stellen sich vor. Spuren von Schwarz tauchen aus dem Hintergrund auf und kommen zum Vorschein. Spuren von hintergründigem Schwarz treten zu vordergründigen Formationen zusammen.
Leinwand stellt sich bloß und reizt den Betrachter. Balkenförmige farbige Streifen erscheinen am Rande und treiben bloßgelegte Leinwand vor sich her und treten ins Bild von oben nach unten hervor brechen sie ab. Eingeritzte Zeichen zerstören die schwarzen Formationen und treten zurück zugunsten von Rot oder Braun oder Grün oder Blau. Es gibt Zwischenstufen.
Rot blitzt in Rot auf Grün in Blau undsoweiter geschieht dies am Rande am Rande bricht etwas auf auf der Fläche vom Rande der Leinwand die ich sehen kann löst ab und geht langsam vor es geht voran von dieser Seite besehen geschieht es oder von jener wandert darüber hin über die Fläche der Leinwand aufeinander zu aufeinander ineinander zurück wird der Vorgang zum Spiel der Erinnerung vor und zurück vor Schritt nach Schritt hinter Schritt die Sprache Becketts was ursprünglich nicht da ist und mir zukommt als Zeichnung mir zukommt während es zurückgehalten wird und mir nicht zukommt. ich bin kein Spielverderber. ich warte.
Bilder sind gemalt und werden eingestrichen und übermalt weil sie nicht gelten. weil sie nicht stimmen. zwischen dem Bild das ich sehe und der Leinwand befindet sich ein anderes Bild das ich nicht erkennen kann weil etwas zuvorkam. das Bild das ich sehe ist also ursprünglich ein anderes das ich nicht mehr identifizieren kann. was ich nicht mehr mitansehen kann ich spüre es dennoch. Spuren eines unkenntlich gemacht Bildes treten heraus in das Bild das ich betrachte. Während ich das Bild betrachte treten Spuren auf die das Bild beeinträchtigen und auftauchen aber unlöschbar sind oder aufblitzen eines nicht mehr sichtbaren Bildes treten Reste hervor mit den Teilen eines Bildes zusammen das ich betrachte. Spuren der Zerstörung treten in Farben mit Farben zusammen durch sie hindurch bezeichnen sie Massen von Farben die zusammentreten zu farbigen Flächen oder flächigen Farben die ich bewegen lasse treten Spuren hervor und repräsentieren ein Bild das ich vergessen habe aus meinem Gedächtnis gelöscht und nicht vergessen kann und immer wieder entdecke was unlöschbar ist die Erinnerung - gehen wir - wir können nicht - warum nicht - wir warten auf Godot - ach ja

[Stuttgart, Sommer 1961]
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