Das Unsägliche | Zwischen Räume
Das
Unsägliche
Veröffentlicht ein
so berühmter und von der Kritik gefeierter Dichter wie Paul Celan
einen neuen Gedichtband (Die Niemandsrose, S. Fischer Verlag), so darf
er erwarten, daß man sein Buch gründlicher liest und strenger
beurteilt als den Erstling eines unberühmten und ungefeierten, wenn
sich Kritik nicht im Nachplappern einmal gefundener Kategorien erschöpfen
will. Der erste Verdacht an diesem neuen Werk Celans entsteht jedoch schon
beim Durchblättern des Bändchens, wenn man die vielen Pünktchen,
sowie einfachen und doppelten Gedankenstriche sieht, die ein Indiz dafür
sein könnten, daß es sich hier vielleicht wieder um jenes oft
beschworene "Unsägliche" der Dichtung handelt, dem man mit Sprache
nicht beizukommen vermag. Der Argwohn verstärkt sich, sobald man die
Texte auf andere Sorten Striche, beispielsweise Trennungs- und Bindestriche
hin durchsieht und auch sie in reichem Maße verwendet findet. Warum
trennt der Dichter ein: Da-/von, oder ein: Ge-/trunken. / Ge-/segnet. /
Ge-/benscht? Deutet nicht diese so dezidierte Weise der Abtrennung auch
darauf hin, daß das Wichtigste eigentlich "zwischen den Zeilen" steht,
weil es eben "unsäglich" ist? Mit den Bindestrichen, die ebenso häufig
auftreten, scheint es sich ähnlich zu verhalten; das Gemeinte, aber
nicht Ausgedrückte schwebt zwischen den durch Striche verbundenen
Wörtern. Schwierig wird es für Dichter indessen, wenn beispielsweise
an einem Zeilenende Trennungs- und Gedankenstrich zusammentreffen wie bei
dem Gedichtende: Reiß die Morgentür auf, Ra- -/. Auch hier soll
das Unsägliche, nämlich das abgetrennte, aber fehlende "bbi"
von Rabbi evoziert werden, wobei man sich allerdings fragen muß,
ob diese drei Buchstaben wirklich so "unsäglich" sind. Sie stehen
außerhalb des Gedichtes und damit außerhalb jeder ästhetischen
Erwägung. Betrachtet man die Sache aber vom technischen Standpunkt
aus, so muß man noch glücklich darüber sein, daß
dem Setzer im Unterschied zum Schreibmaschinisten lange und kurze Striche
zur Verfügung standen: einen kurzen für die Trennung und einen
langen für den Gedanken. Wollen wir uns aber nicht bei den mannigfaltigen
Konflikten aufhalten, die beim Zusammenstoß von Strichen und wirklich
allen nur möglichen Interpunktionen entstehen, sondern nach weiteren
Indizien forschen, die unseren ersten Verdacht, es handle sich hier um
einen Poeten des Nichtgesagten und Nichtausgedrückten bestätigen
können. Und da stößt uns auch schon ein zwölfmaliges
0 auf ("0 einer, 0 keiner, 0 niemand, 0 du" etc.), das noch immer die geeignete
Interjektion für solche Dichter gewesen ist, die es mit dem "Unsäglichen"
zu tun gehabt haben. Nicht, daß dieses noch verhältnismäßig
schlichte 0 nicht noch zu steigern wäre zu "oh" oder "ah" wie in dem
Gedicht Huhediblu, in dem es heißt: "Den Ton, oh, / den Oh-Ton, ah,
/ das A und das 0, / das Oh-diese-Galgen-schon-wieder, das Ah-es-gedeiht."
Aber wir erkennen: dies oh und ah ist satirisch gemeint, - doch was macht
den Unterschied aus? Ist der Mensch, der ärgerlich, respektive zufrieden,
ausruft: "Oh-diese-Galgen-schon-wieder" , respektive "Ah-es gedeiht", ein
schlechter Mensch? Er ist es; denn er schreibt das echte Dichter-O mit
h. Fiel es Celan nicht auf, daß er mit solchen Manierismen seinen
eigenen Stil karikiert? So kurz aber wie in diesen Gedichten der Weg vom
o zum Du ist, so kurz ist er auch von der Silbe Schmerz zur Silbe Herz,
und man wundert sich deshalb kaum noch darüber, wie oft sie hier allein
oder in teilweise grotesken Verbindungen mit anderen Wörtern vorkommt
(Herzgewordenes, Herzstein, Herzmund, herzhell, Herzrücken' Herzfinger,
Herzteile, Herzbahnen, Herzsinn, Herzbuckelweg, Herzstrahl, herzlinienhin,
Herzhammersilber, Herz-Nie usw.). Der Poet des Unsäglichen besitzt
jedoch noch ein anderes Organ, mit dem er fühlt und ahnt, nämlich
die Seele, und richtig, da taucht sie schon auf, meistens allein, manchmal
aber auch in wunderlichen Legierungen wie etwa: Seelen-/ ringe, Seelenohr
usf., doch ist man gewillt, auch darüber noch hinwegzusehen und es
für die Schrulle eines doch nicht zu Unrecht gefeierten Dichters zu
achten. Ganz schlimm wird es erst, wenn er, ähnlich wie in Huhediblu
satirisch, in einer Gauner- und Ganovenweise humoristisch sein möchte
und, von der Sprache allzuleicht verführt, eilig dahinreimt: Mandelbaum,
Bandelmaum. / Mandeltraum, Trandelmaum. / Und auch der Machandelbaum. /
Chandelbaum. / Heia. / Aum." Verweilen wir nicht dabei, es ist lediglich
albern. Verweilen wir auch nicht bei Sentimentalitäten ("Offen lagst
du mir vor, / lagst du mir, lagst / du mir vor / meiner vorspringenden
Seele"), peinlichen Mystizismen ("betende Schoten", "Erschlafene", "Er
nämlich Gott, legt uns nicht trocken"), oder schlicht fürchterlichen
Sprachunglücken (Kyrillisches ritt ich über die Seine, ritts
übern Rhein), sondern "sondern lassen uns endlich unseren schlimmen
Verdacht in "Tübingen, Janner" vom Dichter nun hinlänglich charakterisierten
Art und Weise des Redens sagt: "Käme, / käme ein Mensch, / Käme
ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der / Patriarchen: er dürfte,
/ spräche er von dieser / Zeit, er / dürfte / nur lallen und
lallen, / immer-, immer-/zuzu." Celan jedenfalls hält sich an diese
Devise, die ihm vor "schwimmenden Hölderlintürmen" eingefallen
ist. Er lallt. Des Dichters Amt aber ist es, das Unaussprechliche das Unaussprechliche
sein zu lassen, und etwas mit Wörtern, aber nicht "zwischen den Zeilen"
oder mit bedeutungsschwangeren Strichen zu sagen. Denn noch gilt Wittgensteins
Satz: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen."
[Paul Celan, Die Niemandsrose,
Gedicht, S. Fischer Verlag]
Zwischen
Räume
Die Publikation eines Sammelbandes,
den der Herausgeber Almanach nennt, ist heute, da die Verlage den Buchmarkt
mit allen nur möglichen Anthologien, Sammelbänden, Jahr- und
Lesebüchern überschwemmen, an sich noch kein Grund zur Freude,
es müßte sich denn dieser Almanach stark von ähnlichen
verlegerischen Unternehmungen unterscheiden. Bei dem von Reinhard Döhl
im Limes Verlag edierten Gedichtalmanach Zwischenräume, der den Leser
durch seine Geschlossenheit, Ausführlichkeit, Neuheit und Qualität
des Dargebotenen überzeugt, ist freilich ein solcher Unterschied deutlich
erkennbar. Man spürt nämlich nicht nur eine ordnende Hand, die
Unwesentliches aussondert, Akzente setzt und auf Höhepunkte hinarbeitet,
sondern bekommt auch stets eine zur Beurteilung hinreichende Anzahl von
Texten der einzelnen Autoren geboten: 13 bis 17 Gedichte im Durchschnitt
und nicht lediglich 2 oder 3 wie in den meisten Anthologien. Außerdem
erfährt der Leser dieses Buches tatsächlich Neues, weil die in
Zwischenräume vorgestellten 8 Autoren bislang nur in Zeitschriften
oder Anthologien vertreten waren und mit einer Ausnahme noch keinen eigenen
Gedichtband veröffentlicht haben. Das Wichtigste aber ist, daß
wir in diesem Almanach, der im Erfahrungs- und Gedankenaustausch des Herausgebers
mit seinen Autoren zustande gekommen ist, die Bekanntschaft mit wenigstens
3 Autoren machen, deren Namen man sich wird merken müssen. Es sind
dies: der 1934 in Helsinki geborene Anselm Hollo mit seinen vielleicht
an Cummings geschulten Gedichten (zum Beispiel die witzige "kundgebung"
oder ein Gedicht von so zarter Intimität wie "the daughter, new");
der 1925 in Wien geborene Ernst Jandl, der als seine Ausgangspunkte Stramm,
Arp und Gertrude Stein nennt, - so gelungene Gedichte wie "etüde in
f", "lichtung" oder "flichtinge begegnung" könnten auch an Schwitters
denken lassen - aber es ist kaum eines in dieser Auswahl, das nicht in
einem zweifachen Sinne gelungen wäre! -; und schließlich der
1933 in Marienbad (Tschechoslowakei) geborene Wolfram Menzel, der Gedichte
von ebenso großer Kompliziertheit wie Schönheit schreibt. Die
in ihnen vorkommenden, zum Teil sogar noch abgekürzten und dadurch
verfremdeten Wörter oder Zitate aus lebenden und toten Sprachen, beispielsweise
aus der Sapphischen Ode an die Poikilodrou adanai Aphrodite, oder einem
französischen Kinderlied, sollten nämlich den Leser weder einschüchtern,
noch ihn über dem Poeta doctus Menzel den Lyriker Menzel vergessen
lassen, dessen Verse mit einem Minimum an Wörtern ein Maximum an ästhetischer
Wirkung erzielen. Die Eliminierung alles Überflüssigen, das die
ästhetische Wirkung nicht vergrößern, sondern nur vermindern
würde, bringt jedoch nicht ein "Gedicht-Skelett" hervor, wie der Herausgeber
in seinem Vorwort meint, dem man in diesem einzigen Punkt wird widersprechen
müssen, sondern eher einen geschliffenen und à jour gefaßten
Diamanten reinsten Wassers, ein Ding eben, das unter anderem die Eigenschaft
hat, trotz relativer Kleinheit sehr kostbar zu sein. Dies sind Entdeckungen,
zu denen man dem Herausgeber der Zwischenräume gratulieren kann. Der
Zweck eines Sammelbandes wäre verfehlt, wenn der Leser aber - bei
solchen Höhepunkten angelangt - nicht getrost zurückblättern
könnte: zu Rolf Gunter Dienst, Dietrich Segebrecht, Dieter G. Eberl,
Britta Titel und Hans Heinrich Lieb, deren Arbeiten sich mit denen ihrer
bereits genannten Mitautoren in diesem Buch zu einer eindrucksvollen Demonstration
junger Dichtung vereinigen.
[Zwischenräume, herausgegeben
von Reinhard Döhl, Limes Verlag]