Konnte man bis Ende des 19. Jahrhunderts davon sprechen, daß die Lettern fast ausschließlich dazu verwendet wurden, Texte wiederzugeben, daß die Typografie primär der Mitteilung bzw. der Verbreitung von Inhalten sprachlicher Natur diente, so ändert sich - grob gerechnet seit Ende des 19. Jahrhunderts - diese Auffassung von Typografie:
a) indem man versucht, zu mehr oder weniger bedeutsamen typografischen Effekten in der Textgestaltung zu kommen,Man muß dies vorausschicken, um die Rolle des Handwerkers, Typografen und Verlegers Hansjörg Mayer, um den Stellenwert seiner Edition richtig einschätzen zu können. Seit 1962 sind produktive, seit 1963 reproduktive Arbeiten von ihm bekannt und mehrfach ausgestellt worden. Sein "alphabet" (1963) und eine Mappe von 1964, "13 visuelle texte", weisen ihn bereits als selbstbewußten Vertreter und Verleger einer konkreten Literatur, die sich damals durchzusetzen begann, und damit in ihre letzte, heute bereits ausstellungswürdige Phase einmündete.b) indem die Typografie bei geforderter Zerstörung der traditionellen Syntax die Rolle einer gleichsam typografisehem Syntax zugewiesen bekommt,
c) indem man den äußerlich grafischen Reiz, den materialen Formwert der Letter, des Buchstabens (wieder)entdeckt. Der Typograf - bis dahin berufener und geschickter Hersteller anspruchsvoller Textwiedergaben - hatte sich zum Künstler sui generis gemausert.
Mit der Wahl der Futura als ungestaltetster Schrift und dem Entwurf eines eigenwilligen typografischen Programms vermochte Hansjörg Mayer dieser Literatur sogar noch einmal Impulse zu vermitteln. Es entstanden Textmappen, die ebenso wie die 1965 anlaufende Serie "futura" alle wichtigen Vertreter dieser literarischen Tendenz zu Wort kommen ließen, während etwa gleichzeitig entstehende Bildmappen wesentliche Vertreter der konkreten Kunst und der Computergrafik vorstellten. Die Vielfalt des in den ersten Jahren der Edition geleisteten wurde spätestens in einer Ausstellung des Gemeentemuseums den Haags, publikaties van de edition en werk van hansjörg mayer", 1968, sichtbar: rein äußerlich bereits ablesbar an zahlreichen Publikationsfolgen vom Faltblatt über das Taschenbuch, das Ringbuch, die Mappe bis zum Einzeldruck, an einer Vielzahl der verwendeten Satz- und Drucktechniken vom Licht- bis zum Bleisatz, vom Buch- bis zum Siebdruck. Diese Ausstellung ließ aber zugleich eine Erweiterung des Verlagsprogramms, eine Veränderung des verlegerischen Gesichts erkennen.
Schon in der eine Fülle konkreter Arbeiten der Stuttgarter Szene zusammenfassenden Mappe "16 4 66" hatte die Aufnahme Diter Rots als Gastes angedeutet, was die zweite Folge der Serie "futura" (1968), die letzten Ausstellungen der seit 1966 bestehenden Galerie der Edition (bis 1969) deutlich machten: zu den alten Autoren waren neue Künstler und Tendenzen gestoßen, die seit 1968/9 immer mehr das Gesicht des Verlages bestimmen.
Es ist für die Verlagsgeschichte sicher von Bedeutung gewesen, daß Hansjörg Mayer von Anfang an kein Interesse an sogenannten aber falsch verstandenen bibliophilen Drucken, am Einsatz der typografischen Mittel, um zu mehr oder zumeist weniger bedeutsamen Effekten bei der Textwiedergabe zu gelangen, an einer sogenannten aber falschverstandenen "Poesie aus dem Setzkasten" hatte. Sein Interesse an einer neuen typografischen Syntax, sein Engagement in einer konkreten Kunst und Literatur haben sein Verlagsprogramm von Anfang an wesentlich international geprägt: nur 7 der bisher 26 "futura"-Autoren sind zum Beispiel deutsche.
Inzwischen hat Hansjörg Mayer nicht nur die Galerie in Stuttgart geschlossen und seine Edition nach Köln/London/Reykjavik verlegt. Auch der Handwerker-Künstler-Verleger hat mit der Provinz das Land verlassen und lehrt und arbeitet schon seit längerem an einer englischen Akademie. Zu den diesjährigen Publikationen seiner Edition gehört - und vie1leicht ist das bezeichnend - unter anderem Mark Boyle's Atlas and Manual "Journey to the Surface of the Earth".
[Stuttgart, September 1970]