Wer einmal in Norddeutschland und Dänemark seine Ferien auch dazu genutzt hat, sich mit den Spuren der Wikinger vertraut zu machen, wird in Haitabu die Einbäume sowie Teile eines Langschiffs besichtigt haben. Doch wird seine Spurensuche erst auf dem Gräberfeld im dänischen Lindholm Høje und dann abgeschlossen sein, wenn er auch die schiffsförmigen Steinkreise gesehen hat, mit denen dort viele Gräber umgeben sind. Das Schiff hatte also für die damaligen Menschen eine Bedeutung bis über den Tod hinaus.
Wer einmal in Ägypten Museen und/oder die Pyramiden von innen besichtigt hat, wird sich an zahlreiche Scheintüren erinnern, die sich konkret nicht durchschreiten lassen, die ein Toter dennoch passieren konnte, wenn die Türwärter der [ägyptischen] Unterwelt ihn passieren ließen. Dazu bedurfte es bestimmter Voraussetzungen, vor allem der Kenntnis von Texten, die man den Toten deshalb mit ins Grab gab und die uns heute vor allem aus dem "Totenbuch" vertraut sind. Natürlich spielt auch bei den alten Ägyptern, in der Realität wie im Totenkult, das Schiff, die Barke eine besondere Rolle.
Ich wollte mit dem Gesagten keinen Ausflug in Volkskunde und Religionsgeschichte gemacht haben, sondern zu einem künstlerischen Werk hinführen, dessen Arbeiten vor diesem Hintergrund verständlicher werden. Wobei ich einmal an eine von Dieter Göltenboth "Ausgang und Eingang" getitelte Arbeit denke, auf der neben einer allenfalls ideel zu durchschreitenden Tür links wie rechts jeweils ein Türwärter sich befindet.
Die zweite Arbeit, auf die ich mich beziehe, ist ein frühes Werk aus dem Jahre 1964 mit dem Titel "Nachen des Charon", das bereits mit seinem Titel auf einen weiteren Mythenkreis, die griechische Mythologie verweist. Wobei auch hier das Schiff wiederum in Realität und Totenkult eine besondere Rolle spielt.
Eine dritte Arbeit, auf die ich zunächst nur verweise, "Moby Dick", sprengt diesen Bezugsrahmen nur scheinbar und verbindet ebenfalls die Themen Tod und Leben. Denn Melvilles berühmter Roman endet zwar mit dem Untergang des Walfängerschiffes, seines unheimlichen Kapitäns und der Besatzung, läßt aber den Erzähler und Walfänger Ismael, der sich an den Sarg seines Harpuniers, des Polynesiers Queequec klammert, das Massaker überleben.
Nimmt man hinzu, daß mit "Nachen des Charon" jener Fährmann benannt wird, der die Toten über den Grenzfluß (Styx oder Acheron) der Unterwelt (Hades) setzt, wird sich der Betrachter fragen müssen, wie die literarischen und mythologischen Anspielungen aufzulösen sind.
Was hier angesichts des umfangreichen Werks Dieter Göltenboths, das neben Materialbildern und gewichtigen Installationen auch Gedichte und dokumentarische Fotos umfaßt, zu sagen wäre, sprengt die Möglichkeiten eines Katalogbeitrags. Ich beschränke mich deshalb drei zentrale Themenkomplexe: den Komplex Schiff, das Thema Feuerstelle, was die Steinobjektbilder und -installationen mit einschließt, sowie den Schwerpunkt Ibiza, der sich allgemeiner mit Insel überschreiben ließe, um bereits im Vorfeld anzudeuten, daß Ibiza für Dieter Göltenboth weniger eine Ferieninsel als eine gedankliche Projektion ist.
Bereits 1964 - vorausgegangen waren längere Aufenthalte auf Ibiza, Reisen in Afrika, und danach erst ein Abschluß des Kunsterzieherstudiums - schlägt Dieter Göltenboth mit dem "Nachen des Charon" erstmals das Thema Schiff in Verbindung mit Tod und Unterwelt an. Zwar zeigt die Arbeit nur den Nachen, gleichsam in seinem Gerüst und durch die angebrannten Holzspitzen bedrohlich wirkend, aber der Fährmann ist über den Titel durchaus im Bewußtsein des Betrachters, der ja aus der Mythologie weiß, daß es dieses Fährmanns bedarf, um überzusetzen.
Diese Arbeit Dieter Göltenboths findet eine interesssante Parallele im Werk Günter Eichs, der immer dort, wo er auf seinen Heimatfluß, die Oder, zu sprechen kommt, auch den Fährmann bemüht. In mythologischer Anspielung in einer Hörfolge "Der Strom" [1950], in der es zunächst beruhigend heißt:
Steig ein in das heitere Boot, es ist nicht die Charonsfähre,Später jedoch wird es es dann heißen:
du selbst hast die Planken in deinem Traume gezimmert.
Sie halten. Der Kiel berührt kaum die Strömung.
Zaudere nicht, sieh, die Welle, die Stunde verrinnt,
während am anderen Ufer das Leben dich wilder erwartet.
Willst du zurück nicht in die Mühen landeinwarts,
wage dich über den Strom. Sieh, alles Geträumte,
drüben ist es Wirklichkeit; die Farben sind tiefer,
die Freuden ohne Ernüchterung. Eines nur fehlt:
der Kummer. Steig ein!
Im Nebel ertastet der Uferrand.Anders als Eichs Hörfolge vermittelt der "Nachen des Charon" zunächst noch Bedrohliches. Aber dieses Bedrohliche schwächt sich ab in einem Gedicht, das Dieter Göltenboth am 20. September 1975 in Devon notiert hat:
Wellen lautlos die Füße benetzen.
Wie breit ist der Strom? Kein Drüben bekannt.
Jemand führt dich an seiner Schattenhand
und heißt in den Nachen dich setzen.
Und plötzlich erkennst du das Nebelland,
weißt die Breite des Stromes zu schätzen
und weißt, wer dich führte an seiner Hand
und mit dem Ruder im Nachen stand
und du nennst ihn ohne Entsetzen.
Die Stadt, in der ich wohne,Aber nicht nur die Mehrdeutigkeit, mit der Günter Eich und Dieter Göltenboth Nachen, Boot, Fährmann besetzen, macht sie vergleichbar, auch der Vorgang, um den es in beiden Fällen geht, das Übersetzen, ist bei beiden vergleichbar mehrdeutig. Schon im Lateinischen bezeichnet das Verb transferre sowohl das Übersetzen über ein Gewässer als auch das Übertragen von einer in eine andere Sprache. Wobei die deutsche Sprache im mündlichen Gebrauch durch die Betonung den Unterschied deutlich macht: übersetzen und übersetzen.
hat keine Tore,
ihre Fenster sind blind,
ihre Straßen geschlossen.
[...]
Unten steht der Fluß,
moosig,
alt,
ein Stück zerbrochenes Glas.
Der Fährmann wartet im Nachen.
Zögernd folge ich seiner Einladung.
[...]
Während ich im Boot
den Fluß überquere,
liegt sie [die Stadt, R.D.] im Zwielicht,
unter dem stürzenden Himmel
ganz still.
Diese Doppeldeutigkeit des
Übersetzens spielt bei Günter Eich eine zum Verständnis
seines Werkes zentrale Rolle, aber auch - dies meine These - im Werk Dieter
Göltenboths, indem er einmal übersetzen thematisiert in
Arbeiten wie dem "Nachen des Charon" oder "Moby Dick"; aber auch in Fotos,
die er auf Ibiza von Schiffwracks gemacht hat, um so auch die Frage zu
fixieren: Was trägt uns? beziehungsweise: Trägt uns das, was
uns trägt, und wieweit und wohin? Eine Frage, die sich eingedenk der
Tatsache, daß der Schiffsbau eine zivilisatorische Leistung ist,
auch so stellen ließe: Trägt uns (heute noch) die Zivilisation
und wieweit und wohin?
Schließlich wird das
Schiff und mit ihm das Übersetzen bei Dieter Göltenboth
aber auch dort noch thematisiert, zumindest angespielt, wo seine Installationen
schiffsähnliche Umrisse aufweisen, etwa bei einem "Erdmal" aus dem
Jahre 1987, bei dem Grenzen zum Thema Insel fließend sind.
Von übersetzen möchte ich im Falle Dieter Göltenboths dann und dort sprechen, wo er Mythologie, Literatur oder auch eigene Gedanken ins Bild übersetzt, Bild werden läßt als "Nachen des Charon" oder "Moby Dick". Daß dieses Übersetzen nicht im Sinne von Illustrieren mißverstanden werden darf, erhellt schon aus der Tatsache, daß Dieter Göltenboths Materialbilder (und -installationen) ihr Material nicht bearbeiten sondern nur ordnen, worauf der Künstler bereits 1969 in einer Ausstellungsnotiz nachdrücklich verwiesen hat:
In diesen [...] Arbeiten
[...] war das Ausgangsmaterial angeschwemmter Zivilisationsschutt aller
Art, Bretter, Keile, Kreisformen, Bleche, Puppenteile, zusätzlich
verarbeitet mit Gips.
Ich habe diese Dinge
zu Ordnungen arrangiert, die meiner Vorstellung von Welt und Dasein entsprechen.
Alles weitere läßt
sich nicht sagen. Sie können es den Arbeiten entnehmen.
Das Anordnen der Fundstücke, des aufgelesenen Zivilisationsschutts wäre demnach die Sprache, in die der Künstler seine Vorstellung von Welt übersetzt. Daß dieses Übersetzen zugleich ein Tranformationsprozeß ist, wird deutlich, wenn man den Zivilisationsschutt durch das Hegelsche Prosa der Welt ersetzt. Denn diese Prosa der Welt kontrastiert der Poesie der Kunst und verweist auf eine Polarität, die uns seit der frühen Romantik geläufig ist, eine Kunstauffassung und Tradition, der sich Dieter Göltenboth durchaus verpflichtet weiß, wenn er gesprächsweise zum Beispiel auf Caspar David Friedrich verweist, dessen "Gescheiterte Hoffnung" mich wieder zum Thema Schiff zurückbringt, konkret zu "Moby Dick".
Gerade an diesem Materialbild läßt sich die Frage: Was trägt uns und trägt uns das, von dem wir denken, daß es uns trägt? bzw. die Übersetzung dieser Frage ins Bild recht gut diskutieren.
"Moby Dick" besteht ausschließlich aus Resten von Schiffsholz, also Wrackholz in einer Anordnung, die auf den ersten Blick Schiff assoziiert, dabei aber, der Weltsicht des Künstlers entsprechend, das Schiff nurmehr als Wrack zuläßt. Im Übersetzungsvorgang steht dieses Schiffskelett einmal für das Walfängerschiff des Romans. Zum anderen steht es gleichgewichtig durch seine eingeweißten Teile für das Objekt der Walfangexpedition, den weißen Wal Moby Dick. So eindeutig, wie bei anderen zeitgenössischen Materialfetischisten geht es bei Dieter Göltenboth nicht zu.
Um Göltenboths Übersetzung zu verstehen, ist es sinnvoll, sich des berühmten Romans von Herman Melville zu erinnern. Er erzählt die Geschichte eines versuchten Walfangs, eines Walfängers unter Kapitän Ahab, für den die Fahrt ein persönlicher Rachfeldzug gegen den Weißen Wal ist. [Auf die Gründe und den hintersinnigen Namen des Kapitäns muß ich hier nicht näher eingehen.] Als der Weiße Wal schließlich gesichtet und gejagt wird, zerstört er den Walfänger und zieht, von Ahab harpuniert, den Kapitän mit sich in die Tiefe. In meiner Lesart bleibt offen, ob der Wal überlebt oder nicht. Mit Sicherheit aber überlebt der Erzähler Ismael [bei Melville: Ishmael], der sich an den Sarg seines Harpuniers Queequec klammert, bis er von der Besatzung eines anderen Schiffes vollends gerettet wird.
Wenn Melville seinen Erzähler Ismael nennt, benutzt er, wie im Falle Ahabs, einen Namen des Alten Testaments, das Ismael als Sohn Abrahams kennt, der nach der Geburt Isaaks verstoßen wird, also aus dem gesellschaftlichen Gefüge [im Sinne Melvilles: aus der Zivilisationsordnung] ausgestoßen ist. Dafür teilt er aber in Melvilles Augen auch nicht die Zivilisationskrankheit der schrecklichen Vereinfachung des Wirklichen. Sein Ismael sieht in der Welt nicht nur die Erhabenheit, sondern auch die Wunden und Schrecken Gottes, kennt neben der mystischen Versenkung in die Schönheit der Natur und ihre Ordnung auch den panischen Schrecken vor ihrer zerstörerischen Gewalt. So sieht er im Falle des Wals, dessen Farbe ein ganze Kapitel ("The Whiteness of the Whale") gewidmet ist, das Feierliche, aber eben auch das Unheimliche der Farbe Weiß. Entsprechend ist Ismael Haltung gegenüber der Welt nicht ausgeglichen und gelassen, sondern sie schwankt zwischen Skepsis und Fatalismus, ebenso bereit, zu fragen und praktische Erfahrungen zu machen wie in die Dinge und Ereignisse einzutauchen.
Für mich läßt sich zwischen dieser Haltung des zivilisatorischen Außenseiters Ismael und der Position des modernen Künstlers eine Parallele herstellen, ist es kein Rätsel, wenn das Materialbild "Moby Dick" sich aus Wrackhölzern zusammensetzt und in seiner weißen Einfärbung zugleich den Wal herbeiassoziiert, dessen Jagd Melville übrigens eine weitere alttestamentarische Geschichte, die Legende von Jonas und dem Wal, kontrastiert.
Die von mir angenommene Parallele zwischen Melvilles Ismael und dem modernen Künstler ließe sich sogar recht weit treiben, was hier nur angedeutet werden kann. Ismaels Entschluß, sich den Walfängern anzuschließen beziehungsweise zunächst allgemeiner: wieder einmal zur See zu gehen, soll einer gewissen Lebensunlust und Melancholie entgegenwirken, einem Zustand, aus dem heraus häufig ja auch der moderne Künstler arbeitet. Nicht von ungefähr ist die Melancholie seit der Renaissance sein Wasserzeichen. Für Ismael sind therapeutisch immer schon Wasser und Medition verknüpft.
Das ist im Falle Dieter Göltenboths kaum anders. Seine Entscheidung für Ibiza, für das, was man in seinen Installationen Inseln nennen könnte, fände für mich von hier aus jedenfalls ebenso eine Erklärung wie zwei große Kunstprojekte, die er im Vorstand der "Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künstler" angeregt hat: das Projekt "Wasser" (1986) und das Projekt "Erde Zeichen Erde" (1993).
Wenn ich jetzt auf die "Feuerstellen" und "Erdmale" zu sprechen komme, muß ich zugleich über ein neues Material, die Steine sprechen. Dieter Göltenboth hat in einen kleinen Essay, "Was zwingt mich, Ja zu sagen zur Versteinerung", seine Entscheidung für dieses Material fast existentiell begründet.
Er halte und benütze es, schreibt er dort, wie Beweise für Existenz und wie Masken für Inhalte, die unheimlich und beängstigend seien. Es ist fast so, als ob ich mir durch das Vorweisen, Anfassen und Zuordnen von Material, das aus dieser Welt stammt, das aus der Zivilisation kommt, das organisch oder mineralisch ist, beweisen müßte, daß es diese Welt, und mich in ihr, wirklich gibt.
Ein Resultat dieses Vorweisens, Anfassens und Zuordnens sind im Wald gefundene und/oder ausgegrabene Steine, die Dieter Göltenboth an Ort und Stelle zu Erdmalen ordnet und zurückläßt für vielleicht einen zufällig Vorbeikommenden als Zeichen des Dagewesenseins - ähnlich den "Feuerstellen", die Dieter Göltenboth in den 80er Jahren mehrfach und unterschiedlich installiert und sogar bespielt hat als Ort der Einfriedung mit den angesengten und zerbrochenen Stücken der "Welt", die zurückbleibt, wenn die Jäger den Braten gegessen haben, wenn die aus der Flugbahn gestürzten Vögel zu Dung geworden sind.
Es ist, fährt Dieter Göltenboth in einer hier aufschlußreichen Projektbeschreibung fort, der Ort der Glut und der Asche, das Auge, das Loch, das, was die Zeit überdauert. Die "Stelle" ist eine Insel im Meer, ein Planet im All, ein ausgewählter verlassener Garten, ein Hortus.
Der Hauch der Zeit weht aus der Glut. Die Geschichte der Evolution als geologischer Ort der Versteinerung. Ein Ort der Erinnerung, in dem die Zweifel nisten und knistern. Ein verlassener Platz. Ein leeres Denkgebäude. Ein Traum in Schwarz und Weiß. Eine Schädelstätte. Der meditative Ort einer Aschenkultur, aus der wohl nie ein Phönix steigen wird. Eher Begräbnisstätte, Landeplatz, Deponie, Entsorgung als Ort des Aufbruchs. "Stelle des Feuers" ist Melancholie, ist Aufhebung der Entwicklung, Anhalten, Einhalten, Suche nach Zeitlosigkeit, Geschichtslosigkeit, Vergessen, Zuordnen des Zeitlichen in das Unzeitliche.
Diese Projektbeschreibung formuliert natürlich die Sicht des Künstlers, den komplexen Anstoß zu seinen Installationen. Aber ich denke, dies alles ist so oder wenig anders auch vom Betrachter diesen "Stellen des Feuers" abzulesen, wenn er sich meditativ auf sie einläßt wie Ismael auf das Wasser, wie überhaupt der Umgang mit der Kunst Dieter Göltenboths vor allem die Bereitschaft zur Meditation voraussetzt. Anders gesagt: Die Materialbilder und Installationen Dieter Göltenboth enthalten Leerstellen, in die der Betrachter eintreten muß, sollen sie ihm nicht verschlossen bleiben.
Damit komme ich zu meinem letzten Stichwort: der Insel. Daß Insel und Schiff miteinander in Verbindung stehen, liegt auf der Hand. Das voranstehende Zitat hat auch die "Stellen des Feuers" dieser - wenn ich es richtig sehe - das ganze Werk Dieter Göltenboths klammernden Metapher zugeordnet. In seiner Biographie und konkret ist dabei zunächst an Ibiza zu denken. nicht - wie schon gesagt - als Ferienort, obwohl sich Dieter Göltenboth dort sein Tusculum eingerichtet hat, sondern als Projektion.
Wenn meine These von der Leerstelle stimmt, gilt sie insofern für den Künstler mit, als er in seine Insel als eine Leerstelle eintreten muß, soll sie mehr sein als nur eine Insel. Ich greife, um dies zu belegen, drei Arbeiten heraus: eine "Meerlandschaft", "Aus Tanits Wunderkammer" und die "Weiße Göttin". Zunächst sind es wiederum Materialbilder bzw. eine Materialskulptur ("Weiße Göttin"), für die das bereits Gesagte gilt: das Ordnen vorgefundenen, von Menschen bearbeiteten oder natürlichen Materials aus der Weltsicht des Künstlers. Aber was sich mit "Moby Dick" schon andeutete, verstärkt sich hier. Vor allem, wenn man die "Weiße Göttin" mit indianischen Totempfählen vergleicht, mit jenen geschnitzten und bemalten Pfählen, wie sie sich am eindrucksvollsten wohl bei den Tlingits ausgebildet haben, deren hierarchische Gesellschaftsstruktur sich auf matrilineare Klane stützte.
Auch die Göttin Tanit, Ibizas "Weiße Göttin" weist in die Zeit des Matriarchats zurück. Und dies ist mitangespielt, wenn Dieter Göltenboth seine "Weiße Göttin" nun zwar nicht mehr originär schnitzt und bemalt, sondern sie als Idee anspielt, wenn er gefundenes hölzernes Material so ordnet, daß es an Totempfahl oder hölzernes Götterbild erinnert und damit an eine Zeit, die Jean Paul seinem Quintus Fixlein im vermeintlichen Todeskampf, seinem Wuz auf das Sterbelager zurückholt, eine Zeit, die - nach Ernst Bloch - allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.
[Dieter Göltenboth: Poetische Renaissancen. Kornhausgalerie Weingarten, 26.9.1993. Druck des überarbeiteten Textes u.d.T. "Vermutungen über Schiffe, Feuerstellen, Inseln und die Materialbilder Dieter Göltenboths" in Katalog der Ausstellung Dieter Göltenboths im Kunstverein Geislingen/Steige 1996, S. 2-10]