reinhard döhl | gedichte | die vase, blaß, geborgen aus nacht und fahrt und licht
In die Rinde der Bäume mit dem Messer geschnitten,

in den Staub der Straße lachend gekritzelt

Alter Mann im Regen | Eine kleine Blume | Landstreicher singt für seinen Sohn | Wenn ich mir den Mond betrachte | In die Krone der Bäume gesprochen | Wiegenlied für mich selbst

Alter Mann im Regen

Kein Mensch wird um mich weinen,
keine Blumen wird man mir geben,
wenn ich aus diesem Leben
ausgeschieden bin.

Selbst im Kleinen
habe ich alles bestaunt,
und es hat in den Gräsern geraunt.
Hörst du, wie der Regen rinnt?

Und die Nacht geht kalt.
Durch dunklen Wald
weint ein Kind
still vor sich hin.

Eine kleine Blume

Eine kleine Blume
neigt im Regen weinend ihr Haupt,
über den gelben Wegen
sind die Blüten verstaubt.

Nur ein Käfer sucht
unter einem Blütenblatt
Schutz vor den großen Gewalten,
während kleine Kinder
ihre Hände falten
und beten,
daß Gott sie lieb hat.

Landstreicher singt für seinen Sohn

Schlaf ein, mein Sohn,
die Welt ist groß,
zu groß für dich,
zu groß für mich,
ein Brett ist an der Scheune los,
es heult der Wind, was hat er bloß?
Armer Landstreichersohn.

Schlaf, mein Sohn,
der Mond ist blaß,
so blaß wie ich,
so blaß wie du,
er spiegelt sich im Regenfaß,
die Nacht macht alle Gräser naß.
Armer Landstreichersohn.

Schlaf, mein Sohn,
aus dunklem Wald
ruft deine Fee,
ruft meine Fee,
der Wald ist tausend Jahre alt,
und immer ist die Nacht so kalt.
Armer Landstreichersohn.

Wenn ich mir den Mond betrachte

Wenn ich mir den Mond betrachte
und die Sterne, muß ich lachen,
weil er mich einmal auslachte,
als ich völlig
betrunken
auf einer Bank lag, -
ich hatte den halben Tag

Nun ich hatte Geld gefunden
und alles in ein paar Stunden
in Wein umgesetzt.

Zwar hat der Mond nur gelacht
und mich nicht verpetzt,
und zur Strafe habe ich in der Nacht
ihm einen Bart malen gewollt,
bis ich fand, daß ihm das gar nicht paßt, -

da hab ich ihn um seinen schönen runden
und nicht gerade kleinen Bauch gefaßt,
ein Lied gesungen,
und bin mit ihm die Wiese rauf und runter,
immer wieder rauf und runter
rauf und runter
gesprungen.

In die Krone der Bäume gesprochen

Immer sage ich den Bäumen meine Gedichte,
langsam, damit sie mich auch verstehen können,
oder eine von den schönen
oder weniger schönen
Geschichten.

Oder ich lache sie aus, wenn sie sagen,
daß sie mich gewiß verständen
und manches gut fänden,
oder wenn sie mit den Händen
mich fragen.

Aber ich habe auch schon geweint,
an einem Baum gestanden und geweint,
wenn sie fanden,
daß die Sonne, trotz aller Girlanden,
weiterscheint.

Wiegenlied für mich selbst

Wohin lege ich meine müden Füße?
Ins regenfrische Moos.

Wo ruhe ich aus?
In deinem Schoß.

Zwischen Birken und Heide
spiele ich auf der Flöte
ein Lied für uns beide.

Mit der Abendröte
ziehen die Wolken davon.

Das Kind schläft schon.
Der Wind spielt in seinem Haar.

Die Kartoffeln sind gar.
Und morgen sehen wir weiter.


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