reinhard döhl | gedichte | die vase, blaß, geborgen aus nacht und fahrt und licht
Zeit auf den Händen

Auf dem Seziertisch der Tage | Ein Gang, das ist in den Winden | Gewisse Flüge, Vögel | Gesetze, so kaum gefunden

1  Auf dem Seziertisch der Tage
schlief eine Träne ein.
Sie war das dauernde: trage
ertrage die Nächte, den Wein.

Man nahm ihr Geschmack und Rinnen
alles nahm man ihr fort.
Wer will mit Tränen beginnen
und endet beim ersten Wort?

2  Ein Gang, das ist in den Winden
wohl auch ein Tränengang
so Rausch, so an den Rinden
so an der Zeit entlang.

Wenn deine Stunden enden
wenn kaum dein Spiel begann
verlöschen auf den Wänden
Tänzer, French Can-Can.

Leerst auch du deine Schale
siehst du den Boten an
und siehst den Morgen, das Fahle
wie eine Nacht verrann.

Nur eine Nacht? Es enden
Tage so, Leben und du.
Es stand in deinen Händen
du sahst den Händen zu.

Du hast die Runen gelesen
und hast sie nicht erkannt.
Doch ist der Wein gewesen
in einem anderen Land.

Du hast auf das Leben getrunken
und hast der Liebe gedacht.
Orplid und Länder versunken
vergangen der Abend, die Nacht.

Der letzte Spruch, eine Runde
bleibt dir noch: auf den Tod.
Hebe die Schale zum Munde
der Wein ist dunkel und rot.

Dann aber - was zögerst du länger?
Kein Rouge mehr und kein Baiser -
schweigt auch die Stimme, der Sänger.
Schminke dich ab. Aber geh.

Gewisse Flüge, Vögel
oder ein Kinderlied
das den Anfang, das Ende
und den Himmel bezieht.

Gewisse Flüge, Vögel
doch sie flogen zu weit,
da ist die Stimme verloschen
ist der Himmel entzweit.

Da brennen deine Augen
sucht die Ferne dein Wort.
Sänger wechseln und Monde
Mythen wechseln und Ort.

Verschenke deine Tränen
birg sie in meiner Hand
folge dem König, dem Bettler
die ein Märchen erfand.

Verschenke deine Träume
birg sie in meiner Hand.
Der Mond - er schmeckte bitter:
und schon dunkelt das Land.

4  Gesetze, so kaum gefunden
aus dem Dämmern, dem Nie:
Kreise, Bögen und Stunden
Pythagoras, Geometrie.

Gänge, das Andere wissen
das ist zu wenig fast.
Heißt es: die Fahne hissen
und das Segel am Mast?

Gründen? So enden die Straßen
enden zu ihrer Zeit -
daß wir die Uhren vergaßen
und die Unendlichkeit.

Gesetze, Gänge und Gründen
alles ist längst schon bedacht.
Du wolltest die Meere finden
und du fandest die Nacht.


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