Für die flüchtige Kunstkritik ist Wolfgang Ehehalt der Mann mit der Fliege, ein Künstler allenfalls, dessen Sammelwut [...] jedes gestalterische Konzept überrennt, jedes Titelkorsett sprengt. Aufmerksamere Betrachter entdecken dagegen, daß Ehehalts skurrile, mit einem gehörigen Schuß Selbstironie versehene Objekte keinesfalls beliebig zusammenvariiert sind, daß seine Bilder und Collagen, Zeichnungen und Radierungen wie eh und je Unverbindlichkeit und Gemütliches untergraben, in ihrer Bosheit aber leise bleiben, was denn auch ihren Kunstwert ausmache.
Man muß sich, sagte es Winfried Roesner 1976, vor Wolfgang Ehehalts Blätter setzen, wie man sich zu Tisch setzt, und muß sie Blatt für Blatt, Gang für Gang genießen. Diese Gebrauchsanweisung gilt nicht nur für die Speisekarte getitelten Zeichnungen, sondern für alle Bilder und Objekte Ehehalts, auf denen angerichtet ist (z.B. Alexanderschlacht; Gutes aus deutschen Landen; Picknick am Flußufer) ebenso wie für die Küchenobjekte, die noch die Abfälle tagtäglicher Nahrungszubereitung wie Reliquien, zumindest aber wie Raritäten präsentieren.
Roesners Gebrauchsanweisung ist zweitens übertragen zu verstehen. Denn erst, wenn man Ehehalts Arbeiten Schicht für Schicht gelesen, wenn man seine Collagen decollagiert und dabei das Wechselspiel ihrer Techniken und Elemente erkannt hat, erschließen sich die ästhetisch gebrochenen Spiegelungen unserer alltäglichen, so banalen Wirklichkeit.
Neben der Vielzahl der Techniken, die Ehehalt gerne in witziger Verbindung handhabt, gibt es bereits seit Anfang der 70er Jahre Bildelemente, die in immer neuen Konstellationen in/auf seinen Arbeiten begegnen: Fliege, Vogel, Schwein und Einhorn.
Wie das durch die Volkskunst ikonographisch vorbelastete pfeildurchbohrte Herz, das Ehehalt ebenfalls gerne verwendet, haben diese Bildelemente trotz der Vielfalt ihrer Erscheinungsweisen ziemlich genau eingrenzbare Bedeutungen. Sie signalisieren das Flüchtige (Vogel), konfrontieren dem schönen Schein unserer Zivilisation das unscheinbar Schöne (Fliege), illustrieren in der Tradition der Sprichwortbilder die Schwäbische Redensart, etwas sei zum auf der Sau ausreiten, und sind im Falle des Einhorns auch Allegorie der gefangenen Einbildungskraft. Auf die Frage, wie das Einhorn denn zu fangen sei, antwortet der "Physiologus", eine mittelalterliche Naturkunde: Man legt ihm eine reine Jungfrau, schön ausstaffiert, in den Weg. Und da springt das Tier in den Schoß der Jungfrau, und sie hat Macht über es; und es folgt ihr; und sie bringt es ins Schloß zum König.
Es ist hilfreich, sich angesichts der bei Ehehalt zahlreichen Einhörner dieser Legende zu erinnern, besonders auch angesichts eines der letzten Objekte, der Begegnung zwischen Jungfrau und Einhorn. Denn das unfaßbare Einhorn der Legende ist hier aus Plastik, die reine Jungfrau nurmehr eine Nippfigur - Fundstücke einer Wegwerfgesellschaft, die allenfalls noch Trivialmythen zu produzieren und zu rezipieren vermag. Daraus aber wiederum Kunst zu machen, ist unter anderem die Kunst Wolfgang Ehehalts.
[Fußnote für Einladungsfaltblatt zu Ausstellung Wolfgang Ehehalt in der Galerie Geiger, Konwestheim1986]