Wolfgang Ehehalts & Reinhard Döhls Ansichts- & andere Sachen
Bei der Vorbereitung dieser Ausstellung stellte sich für Wolfgang Ehehalt und Reinhard Döhl einmal mehr die Frage,
Aber es gibt Weiteres, was die "Hülle" birgt und auszeichnet: darunter
Es ist dies - wenn ich hier die "Hülle des Poeten" zunächst verlassen darf - nicht das einzige Portrait oder gar Selbstbildnis in dieser Ausstellung. Da finden sich bei Wolfgang Ehehalt zum Beispiel
In diesem Kontext spielen das maskenhafte "Selbstbildnis mit Stieglitz", hinter dem sich natürlich der Künstler Wolfgang Ehehalt versteckt, und der "Poet als Buchhalter", hinter dem sich - wörtlich als Buch- und Feder-Halter verstanden - der Literat Reinhard Döhl verbirgt, dessen Bücher hier denn auch in einer Vitrine präsent sind,
In diesem Kontext, sagte ich, spielen beide Künstler ihre wechselnden, ihre unterschiedlichen und auch vertauschbaren Rollen.
In diesem Spiel streckt z.B. Wolfgang Ehehalt im "Selbstbildnis mit Stieglitz" oder in "Selbst mit Dodo" nicht, wie er es an anderer Stelle und früher mehrfach getan hat, der Welt die Zunge heraus. Er zeigt der Welt auch nicht den Vogel, vielmehr präsentiert er sich mit Vogel, und zwar in unterschiedlicher Intention.
Für die Einladung zu dieser Ausstellung haben Wolfgang Ehehalt und Döhl das "Selbstbildnis mit Stieglitz" und die "Mülltonne in Botnang" also nicht ohne Grund gewählt, wollten sie damit doch
Denn Ehehalts "Selbstbildnis ..." ist vom angespielten Rembrandt ebensoweit entfernt wie die mit dem klassischen Schattenriss spielende Botnanger "Mülltonne" von ihrem Vor-Bild: einem Kant-Portrait in Seitenprofil - notabene einer Radierung.
Die "Mülltonne in Botnang" aus dem Jahre 1988 wurde 1989 in Wolfgang Ehehalt / Reinhard Döhls Ausstellung der "Kunst&Kompostkarten" in Stuttgart gezeigt und ist, kurze Zeit später als Postkarte gedruckt, nach dem Apfel der 60er Jahre inzwischen zu einem zweiten Wasserzeichen Döhls geworden, das nicht von ungefähr
Also, lieber Wolfgang,
wenn Du mich fragst, so zwischen Neckar und Nesenbach...
Dein Reinhard
Lieber Reinhard,
ich frage Dich aber nicht,
auch zwischen Wald und Reben...
Dein Wolfgang
Daß das nicht von allen so gesehen wurde, möchte ich im Vorbeigehen mit zwei Zitaten belegen. Das erste stammt von Heinz Hirscher und lautet:
"Für Wolfgang Ehehalt ist die Frage des Abfalls unserer Zivilisation entscheidend. So lautet eines seiner Bilder einfach 'Bestandsaufnahme' und zeigt alles, was ihn ringsum beschäftigt hat oder gar beschäftigen mußte. [...]"
Und wie in Reinhard Döhls Apfel ein Wurm steckt, ist bei Wolfgang Ehehalts Beschäftigungen stets eine Fliege mit von der Partie [vgl. die "Notiz über Fliegen" in "fliegenfänger für wolfgang ehehalt"]
Das zweite Zitat von Winfried Roesner deutet an, daß solche "Bestandsaufnahmen" durchaus nicht beziehungslos neben einander stehen müssen, wenn man sie richtig zu lesen versteht:
"Man muß sich vor Wolfgang Ehehalts Blätter setzen, wie man sich zu Tisch setzt, und muß sie Blatt für Blatt, Gang für Gang genießen: Wie aus der Idee einer Speisekarte die Porträts von Koch und Mamsell entstehen, wie der bewirtungsbereiten Gastlichkeit des ersten Blattes die Gäste des zweiten erwachsen, willkommene und - in gestrichelter Kritik - die unwillkommenen. [...]"
Freilich spinnen sich Ehehalts Arbeiten nicht in jedem Fall auseinander fort, gelegentlich scheint es bei ihnen sogar größere Sprünge zu geben, die bei genauerem Hinsehen allerdings dennoch in einem umfassenderen Zitier- und Verweissystem nachzuvollziehen sind, auf das ich wenigstens stichwortartig eingehen will.
So ist der dem Hut aufgestülpte Trichter in der "Hülle des Malers und Poeten" nicht einfach künstlerische Willkür sondern
Durchaus Vergleichbares finden wir in den Arbeiten Wolfgang Ehehalts, wenn er zum Beispiel in einem Triptychon die schwäbische Redensart "Zum aus der Sau ausreiten" in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. [Vergleiche dazu im Internet auch Reinhard Döhls "schweinkram"] Ehehalts einschlägige Arbeit ist hier und heute nicht ausgestellt aber ein anderes Sprichwortobjekt: "Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach", dem man als politische Gegenstücke Reinhard Döhls allerdings nur im Netz zu findende "A bird in the hand is worth two in the bush" oder "U ASS A" kontrastierend an die Seite stellen könnte.
Wobei Ihrer Aufmerksamkeit sicherlich nicht entgangen ist, daß die Möglinger Zehntscheuer neuerdings nicht nur von Ausstellungsbesuchern, sondern auch von Tauben bevölkert wird. Auf die ornithologische Fehlverbindung von Taube und Dodo hatte ich bereits aufmerksam gemacht.
Wie schon für Bruegel gilt auch für Wolfgang Ehehalt, daß die hier einschlägigen Bilder sich nicht mit der Illustration des Sprichworts begnügen, sondern in der Regel Vorwand für etwas Hintersinnigeres sind: ästhetische Spiele.
Den Sprichwortbildern Ehehalts entsprechen in dieser Ausstellung Radierungen Döhls, die zu denen Aphorismen Blaise Pascals, den "Pensées", seit 1990 in jährlichem Abstand entstanden sind, zum Beispiel
Durchaus anders ist dies bei Wolfgang Ehehalt, dessen Werkgruppe der "Masken" zugleich eine Reihe von Assoziationen abruft. Der Jahreszeit entsprechend mag man an die schwäbische Fasnet und ihre Masken denken. Man mag sich an Theater erinnert fühlen, dessen Masken sich auf rituelle, magisch-kultische Wurzeln zurückführen lassen, in jedem Fall das Bühnengeschehen aus dem Bereich des Alltäglichen herausheben sollten. Was ebenso - bei jeweils anderen kultischen Voraussetzungen - für die Masken der sogenannten Primitivkulturen gilt. Doch gibt es daneben - im Falle der Ehehaltschen Werkgruppe gleichermaßen von Interesse - noch einen vierten Typus, Masken, die für einen bestimmten Zweck getragen werden, z.B. die Atemmaske, die Schutzmaske, die Gasmaske.
Den Anstoß zu der umfangreichen "Masken"produktion Ehehalts hat sicherlich seine erste Afrikareise gegeben, deren Reisebericht die Möglinger Ausstellung einleitet. Doch begegnen vereinzelt Masken bereits zu Beginn der 70er Jahre, dann im Kontext der sogenannten "Hüllen", einer Werkgruppe, der zum Beispiel die "Hülle des Malers und Poeten" zugehört.
Denn sieht man genauer hin, erweist sich, daß die beiden "Masken" der heutigen Ausstellung,
Ja sogar die roten und gelben Plastiknetze, in denen man seine Zwiebeln, Kartoffeln, Apfelsinen und anderes vom Markte heimträgt, lassen sich bildkünstlerisch umfunktionieren, ebenso wie Teile von Obstkisten zu Bildträgern mutieren können, so zu meiner Rechten
Das erinnert von ferne an eine der ursprünglichen Funktionen der Maske: das Herausheben aus dem Bereich des Alltäglichen. Nur: die Zeit des Mythos ist unwiderbringlich dahin. An seine Stelle sind die trivialen Mythen einer anthropozentrischen Welt, die Trivialmythen der Wegwerfgesellschaft getreten. Die Riten und Totems dieser Gesellschaft sind banal.
Von hier aus kann man vielleicht in einem ersten Schritt den unsinnigen "Masken" Ehehalts hinter den Sinn kommen. Gemessen am ursprünglichen Zweck ihrer Materialien sind sie unbrauchbar, stellen aber, positiv gewendet, einer zweckorientierten Zivilisation die Forderung nach Sinn entgegen: in Form einer Poesie des Banalen.
Dieser eingeforderte Sinn ist keine ausformulierte Botschaft. Das wäre nicht möglich. Er besteht vielmehr in einem Spielangebot. Und dieses Spielangebot rückt Wolfgang Ehehalts "Masken" in eine letzte, von mir bisher noch nicht genannte künstlerische Tradition, die sich seit den Tagen des Dadaismus herschreibt.
"Da die Zeit", schreibt Hugo Ball angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs im Tagebuch seiner Zürcher Exils, "Die Flucht aus der Zeit", -
"Da die Zeit wie keine vorher auf die Vernichtung des Generösen" abziele, sei "dem Dadaisten jede Art Maske [...] willkommen."
Und er begründet dies unter anderem mit der unmittelbaren Wirkung, die die Masken auf die Künstler selbst ausübten, eine Wirkung, der auch ich mich beim ersten Besichtigen der Ehehaltschen "Masken" kaum entziehen konnte. Das ist das eine, ein Zweites war für die Zürcher Dadaisten eine fast automatische Konsequenz:
"Wir waren", zitiere ich jetzt wieder Balls Tagebuch, "alle zugegen, als Janco mit seinen Masken ankam und jeder band sich sogleich eine um. Da geschah etwas Seltsames. Die Maske verlangte nicht nur sofort nach einem Kostüm, sie diktierte auch einen ganz bestimmten pathetischen, ja an Irrsinn streifenden Gestus. Ohne es fünf Minuten vorher auch nur geahnt zu haben, bewegten wir uns in den absonderlichsten Figuren, drapiert und behängt mit unmöglichen Gegenständen, einer den anderen in Einfällen überbietend. [...] Die Masken verlangten einfach, daß ihre Träger sich zu einem tragisch-absurden Tanz in Bewegung setzten."
Daß solche Provokationen auch von Wolfgang Ehehalts "Masken" ausgehen können, zeigte sich bei ihrer ersten Ausstellung, 1995, in der Stuttgarter Galerie Folkmar von Kolczynskis, bei der, nachdem die Eröffnung zunächst von überraschend einbrechenden Hästrägern unterbrochen wurde, Wolfgang Ehehalt und Reinhard Döhl plötzlich mit vorgehaltenen Masken aufeinander zutanzten.
Andere profihaftere Tänze mit Wolfgang Ehehalts "Masken" sind wenigstens in Fotos festgehalten worden und für die "Arbeitsmaske des Elektroschraubers" in einem Beispiel in der heutigen Ausstellung dokumentiert, während für die "Elefantenmaske" drei Exponate zeigen, wie sich Abbildungen einer "Maske" zu einer "Elefantenrunde" collagieren, in einen "Gläubigen" oder "Goldenen Elefanten" spielerisch verwandeln lassen.
Daß das Thema Tanz auch in anderer Form in dieser Ausstellung angeschlagen wird, will ich wenigstens andeuten mit Hinweis auf
Ihre Reisen haben im Œuvre beider Künstler die unterschiedlichsten Spuren hinterlassen, bei Wolfgang Ehehalt z.B.
Wie bei den anderen Exponaten haben wir uns auch beim Thema "Reisen" bemüht, die Arbeiten aufeinander beziehbar zu halten, indem wir dem "Afrikanischen Reisebericht" Ehehalts eine Auswahl aus Döhls "Römischen Tage- & Skizzenbüchern" folgen lassen und diese wiederum gegenüber Ehehalts "Italienischen Tagblättern" plaziert haben, so daß sich der Betrachter selbst seinen Reim darauf machen kann, wenn er sich auf das Beziehungs- und Verweissystem unserer Hängung einlassen will.
Vielleicht entdeckt er dabei auch, und damit möchte ich schließen, in der zweiten Vitrine auch den Katalog "das schwarze loch" und schräg gegenüber, daß die Fußbekleidung unter der "Hülle des Malers und Poeten" auf einem schwarzen Loch steht.
[Zehntscher Möglingen 14.2.2003]