Geschichte und Kritik eines Angriffs. Zu den Behauptungen gegen Paul Celan. *

Günther Rühle | Wege zur Würde
Die Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

[...] Seit Ivan Golls Witwe 1953 einen offenen Brief an Verleger, Kritiker und Schriftsteller schickte, in dem es hieß, das Celan
die Gedichte Golls "durch geschickt assimilierte Verwertung von Wendungen und Bildern" imitiere, wechselten Proteste,
Zitieren neuer Vergleichsstellen und neue Entschließungen einander ab. Auf Veranlassung der Akademie hat nun Reinhard Döhl
(im Jahrbuch der Akademie 1960) das vorgebrachte Material untersucht. Er stellt dort Zitate nebeneinander (fügt sogar neue
Vergleichsstellen bei), prüft die Chronologie, den Kontext (wenn auch nicht sehr eindringlich) - und kommt zu dem Ergebnis,
daß es sich bei den Aehnlichkeiten um "wandernde Bilder" handele, die man ja in der Literaturforschung seit langem kennt.
Döhl weist auf den ähnlichen Entwicklungsgang Golls und Celans (Berührung mit dem französischen Surrealismus), Celans
Nähe zu Trakl und Else Lasker-Schüler hin und erklärt die vorgetragenen Vorwürfe für grundlos. - Dieses klare Wort zu einer
peinlichen Sache ist ein Verdienst der Akademie. Im Herbst vorgelegt, hätte die Preisverleihung als ein noch klareres Eintreten
der Akademie für einen verdächtigten Schriftsteller gegolten. [...]

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Fazit

D.W. - Das Attentat Frau Claire Golls auf den Ruf des Lyrikers Paul Celan ist endgültig vereitelt. Der Vorwurf, Celans
Gedichtband "Mohn und Gedächtnis" sei bei "zeilenweiser Anleihe" und durch "geschickt assimilierte Verwertung, von
Wendungen und Bildern". eine "Imitation" des Nachlaßbandes "Traumkraut" von Yvan Goll, hat sich als haltlos erwiesen.
Das ist der Tenor einer Untersuchung, die Reinhard Döhl auf Anregung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
und unter der Schirmherrschaft Fritz Martinis angestellt hat - quasi als letzte Instanz eines Prozesses, der seit 1953 läuft und der
unter anderem durch einen Artikel Rainer K. Abels in der WELT (am 11. November 1980) in die Öffentlichkeit getragen
wurde.

Rainer K. Abel nahm die Partei Claire Golls, und er bediente sich im wesentlichen ihrer Argumente. Heftige Proteste gegen
seine Äußerungen, an denen es auch sonst nicht gefehlt hat, brachten wir am 16 und 31. Dezember 1960. Sie stammten von
Hans Magnus Enzensberger, Dietrich Schaefer und Georg Maurer.

So lautet im großen der Spruch Reinhard Döhls im Jahrbuch der Deutschen Akademie: Schon die bibliographischen Daten
entkräften die meisten Vorwürfe gegen Paul Celan; Claire Goll hat unsauber zitiert; sie hat Aussagen Dritter für ihre Zwecke
frisiert, der Tatbestand des Plagiats wäre selbst dann nicht erfüllt, wenn alle Argumente Frau Golls stichhaltig wären.
Döhl hat mit großer Sorgfalt gearbeitetet und dabei nicht einmal auf die Lesbarkeit seines Textes Rücksicht genommen. Sein
Fazit verdient allen Respekt, den wir hiermit bezeigen.

Diese Achtung gebührt selbstverständlich auch Paul Celan, der sich bis heute aus dem Streit herausgehalten hat, vermutlich im
Vertrauen auf seine Freunde, die sich so wacker für ihn geschlagen haben.

Soviel aber nehmen wir dabei auch für uns in Anspruch: Nachdem dieser Streit einmal begonnen hatte, mußte er ausgetragen
werden. Es ist Sache einer Zeitung, daran teilzunehmen. Wir meinen, daß wir unsere Pflicht und Schuldigkeit getan haben,
indem wir Stimme und Gegenstimme getreulich meldeten. Das ist letzten Endes auch Reinhard Döhl und damit Paul Celan
zugute gekommen.

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Vgl. auch Jürgen P. Wallmann u.a. | Schmarotzen als Stilprinzip