Der Titel des Stückes, "Das Hörspiel von heute morgen jederzeit oder Die Bandenschlacht von Blacktown", von Reinhard Döhl drückt bereits das Formprinzip des Hörspiels aus. Was hat eine Bandenschlacht nach Wildwestmanier mit heute morgen jederzeit zu tun? Denn in dem Spiel sind eine Reihe von Elementen aus den verschiedensten Bereichen zusammengefaßt, die scheinbar willkürlich in ein Ganzes gebracht wurden, ohne jedoch eine Einheit zu ergeben. Da ist die Wildweststory von Billy Jenkins und Tom Prox, die nach bestandener Schlacht Recht und Ordnung wieder einsetzen. Da gibt es Zeitansagen aus Schanghai, Sidney oder Stuttgart. Man erlebt Bahnhofsszenen. Man gerät in ein Klassenzimmer, wo der Lehrer eine Arbeit schreiben läßt. Sprache wird deformiert bis zur Unverständlichkeit. Stereotype Sprachmuster wiederholen sich. Das alles wird durchsetzt mit Musik und allen möglichen Geräuschen usw. usw. Warum montiert der Autor all diese Elemente in eine banale, klischeehafte Wildweststory? Ist das eine Willkür oder bewußte Absicht? Der Hörer wird bei genauerem Hinhören feststellen, daß all diese Elemente, so heterogen sie für sich sein mögen, in einem doch sehr ähnlich, fast identisch sind. Sie sind banal und ohne eigentliche Aussage außer dieser Banalität Die Vielzahl der Motive wiederholen alle das nämliche Thema: keine Aussage. Die Wildweststory ist nichts als die durchgehende Folie einer tausendfach bemühten Schablone, auf deren Hintergrund die anderen Elemente transparent werden. D.h., sie unterscheiden sich grundsätzlich in nichts von den Pseudohelden Billy Jenkins und Tom Prox. Die Klassenarbeit ist die Wiederholung dieses Filmklischees auf anderer Ebene. Hier nun wird der kritische Hörer einwenden: Wenn der Autor nur die Absicht hat, klischeehaftes Verhalten zu demonstrieren, weshalb dann tut er das mit einem solchen Aufwand an formalen Mitteln? Widerspricht diese komplexe Einheit aus vielen verschiedenen Formelementen, aus den das Hörspiel sich zusammensetzt, nicht der angeblichen Aussage, es handele sich hier um Klischee und banale Anonymität? Hätte eine Persiflage auf den Wildwestfilm nicht genügt? Nun ging es dem Autor nicht darum, eine Wildwestparodie zu liefern. Vielmehr, man darf diese Wildweststory gar nicht unter dem Aspekt einer Wildweststory alleine sehen, sondern man muß sie beobachten im Zusammenhang mit den anderen Elementen, die sich der story ja nicht etwa unterordnen, sondern beiordnen und ein zum Teil selbständiges Leben führen. Es geht ja darum, das Klischee zwar als Klischee zu gebrauchen, ohne aber im Klischee zu verharren. Es handelt sich um die paradoxe Situation, daß einerseits sich eine komplexe Welt insgesamt als eine klischeehafte, als eine nach Schablonen ausgerichtete enthüllt. Andererseits wird das Schablonenmäßige der einzelnen Elemente überwunden, aus dem Klischee herausgeholt, dadurch, weil ganz verschiedene Elemente zu einander in Bezug gesetzt werden und sie dadurch eine ganz neue Wertigkeit erhalten. So gilt die Frage: Wie verhält sich das Muster einer Wildweststory, wenn dieses konventionelle, banale Muster nun konfrontiert wird mit Mustern, die aus einer ganz anderen Ebene stammen und diesem Muster völlig fremd sind in Milieu, Charakter, in der Form der Darbietung usw.? Mir scheint, dieses Hörspiel ist ein solcher Versuch, Schablonen mit neuer Wertigkeit aufzuladen. Das Muster des Klischees wird von daher wieder interessant. Gleichzeitig aber bleibt die paradoxe Situation bestehen, daß neben dieser Synthese aus alten Mustern das Klischee mit weiter besteht. Mit einem Wort: um das Klischee als Klischee neu zu servieren, um eine komplexe Welt als eine stereotype erkennbar zu machen, muß die Anstrengung unternommen werden, das Muster des Klischees neu zu beleben. Es muß formal exakt durchgespielt werden, das Klischee muß vielfach gebrochen werden, um überhaupt als Klischee erkannt zu werden. Diese Vielfältigkeit des Klischees ist es, die überraschende Weise des Klischee letztlich wieder so interessant macht.
[Saarländischer Rundfunk / Westdeutscher Rundfunk 1970, Bandabschrift]