Feuilleton 1
Kunst - Text - Kritik -
Situation - Ausstellung - Bild - Buch - Hinweis - Letztes
herausgegeben von Klaus
Burkhardt, Stuttgart N, Smaragdweg 18, Tel. 296313
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FEUILLETON - und was so die Tageszeitungen überschwemmt und die Sonntagsbeilagen, wir haben ja BILD und für jeden Augiasstall eine Handvoll Kritiker (wem wird da übel?), also Unterhaltungsbeilagen von Krolow bis Gaiser, das Häschen von Dürer und das Heimchen am Herd, von Appel bis Nay wenn es hochkommt und die Bewisperer von Gräsern und Nüssen, von denen schon Benn sprach. Man sollte nicht dagegen sein. Im Gegenteil: die Volkshochschulen tun ihr Bestes, im Falle radioaktiver Niederschläge erfolgen aufklärende Postwurfsendungen, die Kultur wird Marke highbrow hochsterilisiert (big brother is watching you) und die Streichholzschachtel voll Bronchialabsonderung an die richtigen Adressaten ist nur eine Fiktion Gottfried Benns. Der Christus von Thorwaldsen ist schließlich genauso harmlos wie die Fortsetzung der Artillerie oder die intonierte Messe anläßlich der Ausstellung "junge malerei" in Wolframs-Eschenbach. Man sollte wirklich nicht dagegen sein. Die Scheiterhaufen von 1961 sind nicht die Scheiterhaufen von 1933, wo man noch Kunst verbrannte, während heute der Provinzialismus die Galerien heimsucht und die Künstler sich aus einer Klasse ambivalenter Halbintelligenz rekrutieren. Der anti-intellektuelle Spätbürger marschiert und die informellen Fahnen der Biennalen haben einen sichtbaren Trend zur Konfession (Sakristei statt Museum). Und vielleicht sollte man doch ein ganz klein wenig dagegen sein, nur so zum Spaß, en passant versteht sich, gegen das eine oder das andere, wos ungefährlich ist und man sich die Finger nicht dran verbrennen kann, vielleicht nur so in Gedanken. Aber nein: wir sind nicht dagegen. Im Gegenteil: wir machen mit, in den Galerien des Wunders, auf den Biennalen der Heimsuchung, am Feuilleton für den Sonntag, am Feuilleton für den Stammtisch, am europäischen Frühschoppenfeuilleton.
Reinhard Döhl