Das Werk Erdmut Bramkes hat sich ohne überraschende Sprünge, ausgehend von der Entscheidung für Farbe und Struktur als Bildgegenstand, Schritt für Schritt eher behutsam entwickelt. Dabei hat sich die Künstlerin eine Bildersprache erarbeitet, die vom Betrachter sehr wohl gelesen werden kann, wenn er sich auf einen quasi-meditativen Umgang mit dem Werk einläßt, einem Werk, das sich aus Arbeiten auf Leinwand und Papier zusammensetzt und, von wenigen Versuchen abgesehen, auf den Einsatz von Acrylfarbe und Farbstift beschränkt, dabei jedoch auf die Materialität der Bildträger oft großes Gewicht legt.
Ob die Leinwand grundiert oder ungrundiert bemalt wird, ist interpretatorisch ebenso zu beachten wie die Wahl eines kaum geleimten, also saugenden Büttens bei den Arbeiten auf Papier. Der grundierten bzw. nichtgrundierten Leinwand entsprächen hier zum Beispiel die sogenannten "Schmirgelblätter" einerseits, in deren verletzte Oberfläche ähnlich wie bei der nicht grundierten Leinwand Farbpartikel eindringen, Narbenspuren hinterlassen, über die noch zu sprechen sein wird, während andererseits der mit Japanpapier beklebte Zeichenkarton der grundierten Leinwandfläche entsprechen könnte.
Eine weitere Eigenart der Arbeiten Erdmut Bramkes ist ihr schrittweises Entstehen, oft von einer spontanen Geste eingeleitet, die dann fortgeschrieben wird, überlagert bzw. überschrieben undsoweiter. Wobei festzuhalten wäre, daß die Künstlerin in der Regel links oben ansetzt und gewissermaßen zeilenförmig fortfährt, so daß man mit einigem Recht, und die Künstlerin hat dies selbst getan, vom Schreiben dieser Bilder, von ihrem Schreib- und Schriftduktus sprechen könnte. Schreiben, Schrift sind dabei nicht als Tätigkeit oder Mittel semantisch verständlicher Mitteilung gemeint, obwohl auch die Arbeiten Erdmut Bramkes etwas mitzuteilen haben, Schreiben, Schrift sollen vielmehr Pinselduktus und Malprozeß charakterisieren. Und dieser Malprozeß erfolgt, wie gesagt, von links nach rechts, von oben nach unten, und dies wiederholt. Ein derart wiederholter Schreibprozeß verdeckt stufenweise, was die erste oder zweite Schicht an ästhetischer Botschaft erhalten haben. Oder anders ausgedrückt: erst, was die übereinandergelegten Schreibschritte verdecken und erhellen, macht die ästhetische Botschaft des Bildes aus. Das unterscheidet die Arbeiten der letzten Jahre, aber auch die früheren Arbeiten Erdmut Bramkes entschieden von der wilden, oft unkontrollierten Gestik des Informel und seiner zahlreichen Adepten.
Und noch ein Drittes möchte ich zum Werk Erdmut Bramkes allgemein vorausschicken. Es ist ein seit der Documenta 1959 häufig geübter Unfug, gegenstandslose Malerei Landschaften und ihren Strukturen gegenüberzustellen und zu vergleichen, so, als könne man die Mimesis-Theorie bis in die strukturelle Analogie fortschreiben, als reproduziere noch das gegenstandsfernste Bild organisch und anorganisch vorgegebene Struktur. Daß dies bei den Arbeiten Erdmut Bramkes nicht funktioniert , erklärt sich aus ihrer Pinselschrift von selbst, denn deren Duktus bildet allenfalls psychische Strukturen ab. So gelesen sind Erdmut Bramkes Arbeiten, die Arbeiten der heutigen Ausstellung auch Psychogramme, und dies wiederum in einer sehr eigenwilligen Art.
Dennoch ist ein Blick auf die Landschaft, die Umwelt der Künstlerin durchaus sinnvoll, wenn man dabei anderes als analoge Strukturen sucht. So machte es durchaus Sinn, als Ulrike Gauß vor drei Jahren auf die Heimat der Künstlerin verwiesen hat. Erdmut Bramke, schrieb sie in einem Katalog des bis dahin vorliegenden Oeuvres,Erdmut Bramke kommt aus einer flachen, weiten Landschaft, in der ein toniges, diffuses Licht vorherrscht. Ziehende Nebel, lärmlose Tage, die unendlich sich fortziehende Bewegung der See prägten ihr beharrlich suchendes Wesen. Ein hoher Grad von Sensivität und Ausdauer spiegelt diese Herkunft in ihrer künstlerischen Haltung und Persönlichkeit.
Weniger also Strukturen, als vielmehr das Licht, die Farben sind es, auf die Frau Gauß mit diesem Hinweis abstellen wollte. Und in der Tat, verfolgt man unter diesen Voraussetzungen die Werkentwicklung einmal genauer, werden innerhalb der scheinbar kontinuierlichen Entwicklung entscheidende Schritte dort faßbar, wo sich Umwelt und Atmosphäre für längere Zeit veränderten. 1973/1974 zum Beispiel in Paris; 1979/1980 in Rom, wo sich das bis dato eher strenge Bildsystem der Künstlerin zu lockern beginnt, die dunklen, oft depressiven Töne sich verflüchtigen. Auch hier hat Frau Gauß den wichtigen Hinweis gegeben, wenn sie schreibt:
Die intensiven Lichterlebnisse des diffusen, die Umrisse tilgenden Lichts der Po-Ebene, die Form und Farbe verzehrende Lichtflut Süditaliens, und der Eindruck der grandiosen Dimensionen römischer Barockarchitektur wandeln Farbklang und Maße ihrer Bilder.
Hinzukommen in den 80er Jahren eine Spanienreise und 1986 ein zweiter Parisaufenthalt, der schon deshalb erwähnenswert ist, weil sich jetzt (Öl)Pastellkreide und Farbstift der bisher dominierenden Acrylfarbe zugesellen. Was man auch so ausdrücken kann: der Pinsel- gesellt sich jetzt die Kreide- und die Farbstiftschrift, unterschiedliche Schrifttypen und -grade treten jetzt spannungsvoll zueinander in Beziehung. Der Abfolge von Schreibschritten entspricht damit ein Konkurrieren der Schreibmittel.
In dem zitierten Kommentar Ulrike Gauß' ist aber mit dem Hinweis auf die italienische Barock-Architektur noch ein weiterer wichtiger Hinweis enthalten, undzwar in doppelter Hinsicht. Formal zielt dieser Hinweis auf die 'Architektur' der Bilder, ihre z.T. tiefenräumlichen Wirkungen (Gauß) , die sowohl von der Struktur wie von ihrer Farbigkeit her 'aufgebaut' werden. Wobei sich die Arbeiten vom Bildträger her auf den Betrachter zu entfalten oder der Betrachter sich in das Bild sehend hineinbegeben muß. Frau Bramke hat selbst darauf aufmerksam gemacht.
Inhaltlich verstehe ich den Hinweis von Frau Gauß als Hinweis darauf, daß es außer Licht, Farbe, Landschaft Kunstwerke selbst sein können, deren Farbigkeit und Licht, deren Lichtwirkung und Farbstruktur anregend werden, wie bereits einige Titel deutlich signalisieren: z.B. "Seerosenbild", "Lorenzo-Bild", "Giovanni-Blatt" undsoweiter.
Das alles mag ausreichen, zu belegen, wie komplex die Werkentwicklung der Künstlerin ist. Und es gestattet zugleich eine erste Annäherung an die hier und heute gezeigten Arbeiten ausschließlich auf Papier.
Vom Format her - 20 x 15, 80 x 60, 107 x 75 Zentimeter, jeweils Höhe vor Breite - ordnen sie sich nahtlos den von der Künstlerin auch sonst bevorzugten Formaten zu - Formaten, die sie als die ihrigen erkannt hat. Formal und auch inhaltlich kommt jedoch etwas Neues hinzu: ein Moment der Collage. Und dies - wie gar nicht anders zu erwarten - in mehrfacher Hinsicht.
Da sind zum einen Arbeiten, die in der Tradition jener Blätter gesehen werden können, in denen Erdmut Bramke Japanpapier auf den Zeichenkarton aufgeklebt hatte Da sind zum anderen Arbeiten, deren collagierte Elemente das Bild gleichsam zerlegen in zwei bzw. vier Teile, die dann zeichnerisch wieder zu einem Ganzen zusammengebracht werden, das mehr ist als die Summe seiner Teile: Bilder also, auf denen nicht Bilder addiert werden, vielmehr zu einem Bildganzen komponiert sind.
Und da ist drittens ein Blatt, das mich wegen der eincollagierten Zeitungsfragmente besonders fasziniert hat. Und es wurde für mich deshalb besonders aufregend, weil sich auf ihm fragmentarisch konkretisiert, was ich im Einverständnis mit der Werkstatt-Terminologie der Künstlerin bisher das Schreiben und Lesen der Bilder genannt habe. Was sich auf dieser Collage nämlich lesen läßt, Chimäre,Gespinste, [A]ngst vorm gedruckten und Wort, scheint mir zu korrespondieren mit den Narbenspuren der sogenannten "Schmirgelblätter", mit den zahlreichen Arbeiten, auf denen die Künstlerin während der Arbeit mit dem Stift die Farbflächen bis zum Bildträger aufgerissen hat. Sowie reziprok mit jenen Arbeiten, in denen sich die einzelnen Schreibschichten zunehmend vergitterten, besonders deutlich dort, wo der Farbstift diese Arbeit leistet.
Nimmt man jene Pinselispuren hinzu, die Frau Gauß als sichelartige Farbschmisse von zuckender Schärfe, dünnhäutig, durchsichtig charakterisiert hat, dann erfaßt man schrittweise, oder besser müßte man vielleicht sagen: dann erfaßt man in Annäherung etwas von dem, was diese Bilder über ihre ästhetische Botschaft hinaus signalisieren, was sie mit ästhetischen Mitteln mitteilen wollen.
Erdmut Bramke ist eine sensible Künstlerin. Davon spricht bereits ihr Umgang mit den Farben, die sie zunächst zu Vibrationsflächen zusammentreten ließ, um sie dann zunehmend in gestische Pinselschrift aufzulösen. Die dabei zunehmende Vergitterung der Fläche, das Zumachen und zugleich Verletzen erfährt in den letztjährigen Arbeiten eine vorsichtige Korrektur, wenn an einigen Stellen der Bildträger frei bleibt, wenn ungemischtes Gelb, Blau, Rot punktuell durchblitzt.
Die Reaktion der Malerin auf Zerstörung durch Zerstören, das Vorzeigen der Narben erfolgt nicht mehr nur als Rückzug ins Labyrinth oder als Gegenwehr, sondern es will scheinen, als blinzle jetzt aus dein Gewirr der Pinselspuren Optimistisches hindurch, ja sogar eine gewisse Frechheit, wenn man zum Beispiel die Reinen Rots, Blaus, Gelbs und die freigebliebenen Stellen der Bildträger in den Zusammenhang mit den sonst meist gemischten, sich im wechselseitigen Überschreiben mischenden Farben und Spuren bringt.
Damit wäre ich eigentlich am Ende, eine Kleinigkeit ausgenommen. Die Interpreten haben Erdmut Bramkes Arbeiten auf Papier als Begleiter, als Vorläufer der Arbeiten auf Leinwand verstanden. Das mag partiell so sein. Aber man sollte doch eines nicht übersehen. So reizvoll es einerseits ist, in auf Zeichenpapier aufcollagiertem Japanpapier eine Entsprechung zur grundierten Leinwand zu sehen, so anders ist die jeweilige Materiallage. Was die Künstlerin mit dem Pinsel auf dem Papier, zunehmend jetzt in Verbindung mit der Collage leisten kann, das wird auf der Leinwand allenfalls in einem übertragenen Sinne möglich sein. Mit anderen Worten: mögen bisher die Arbeiten auf Papier auch Begleiter und Vorläufer der Arbeiten auf Leinwand gewesen sein, in ihren letzten Beispielen, mit Möglichkeiten der Collage spielend, werden sie einmalig, bleiben sie unübertragbar. Das gibt ihnen im Werkganzen einen durchaus eigenen Stellenwert, auf den zu achten sehr lohnt.
[Neu-Ulm, 2.12.1988]