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Atila | Zwei Briefe

1. Brief | 2. Brief

Boulogne, den 29.4.1976
Lieber Herr Döhl
versuche leserlich zu schreiben, deshalb die gedruckte Schrift. Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben. Hier beiliegend schicke ich Skizzen vor 1964, Von 1959-64 ist der entscheidende Schritt vom Concreten zum Mythos bei mir geschehen. Das Verdrängen der Außenwelt zugunsten der Innenwelt. Die lsolation des Ich durch die Härte des Kampfes bis zum letzten Schlupfwinkel ins Unbewußte. Wahrscheinliche Rettung durch Mythologisieren, Fabulation, Erfindung einer gar hermetischen aber persönlichen Innenwelt, Erzählungen, Versagen des Verstandes, Zurückdrängen des Bewußten, weil zu schmerzvoll, Abkapselung des Ich wie in der Gebärmutter und wohltuende Entfaltung von da aus.
Zeichnungen gingen meiner Malerei immer 5 Jahre etwa voraus, Bis ein gezeichnetes Gedankenkonzept, also Strichzeichnung, in Ölmalerei umgesetzt wird, vergehen 5 Jahre etwa.
Erinnere mich, daß ich mit der Außenwelt immer Schwierigkeiten hatte. War mir schon der Enge der Räume der Innenwelt bewußt. Versuchte mit Photos Nachahmung der Natur; ohne persönliche Verformung... Habe aber immer wieder vernichtet...weil ich das im Grunde hasse. Für mich ist Malerei ein Monolog des Ichs bei der Auseinandersetzung zwischen Material, Pigment und die Integration des Pigments in ein Bewußtseinskonzept. Bei mir persönlich ein Vitalkonzept. D.h., ich muß malen und ich muß fabulieren, um mich selbst zu vertragen und die Welt so zu verformen, wie ich es wünschte, und nicht vertragen müssen sowie sie ist. Also Welt zu hart, concret.
Ein warmes Bett sich legen, aus Regenbogen, sich darin wohlfühlen. Keiner Aggression mehr ausgesetzt sein.
War sehr erstaunt, als andere sagten, ich wäre aggressiv in den Farben. Benutze einfach Regenbogen in der natürlichen Saturation, d.h. ohne Mischen mit Weiß und mit Schwarz. Als Solisten am Anfang auch als Kulisse, Schichtung also, Progression.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Atila

P.S. Vielen Dank im Voraus für das Interesse unerwartet ist sehr wohltuend.

Die farbige Umsetzung eines Rückzugmanövers führte mich eigentlich nach vorne. Ja, ich finde zeitlos. Vorne-Hinten, up to date oder retro. - Zeitlos.
1966 Gebärmutter, Sonne, Stern. Farbprogression rund.
1967 Zerbrechen der Sonne in Segmente. Figuration zwischen den Segmenten wie Sekt der aus der Flasche quillt. Progression + Contrast,
1968 Wollte gerne nicht anekdotisch sein. Also monumental. Einführung des Volumens. Dreidimensional.
1970 Wie Progression in der Farbe, so Verschiebung einzelner Adjektive, wie Augen. Dadurch komische Figuration in die Nähe von Tantra und Indien ja alter Kulturen, Azteken, Eskimo. Aber Adäquation zwischen Mittel und Inhalt.
1974 Möchte gerne großen inneren Maßstab haben. Also Figuren bis an den Bildrand wie Byzantinische Malerei. Mensch als Chewinggummasse je nach Belieben, Osmose, Übergang. Seelenwanderung, aber das in Farbprogression. Also immer Dionysos und nicht Apollo.
1976 Plastische Evidenz. Vereinfachung. Aufgequollene und schwebende und völlig erfundene Formen und Komposition von der Farbprogression hervorleitend. Konstantes Interesse für Übergänge. Nicht statisch. Farbprogression.
Mit freundlichen Grüßen
Atila
 

30.5.77
Lieber Reinhard,
Schreiben ist für mich ein großes Schrecken, weil ich das nicht kann. Das Schreiben wird so lange hinausgeschoben, wie es nur geht. Nun geht es aber nicht mehr, und ich muß Dir schreiben, wie ich es schon immer vorgehabt hatte.
Dein Vorwort für die Ausstellung ist sehr schön. Es entspricht der Wahrheit und ich möchte sehr gerne daraus einen Katalog machen. Bist Du einverstanden? Das mit dem kleinen Knaben stört meinen Stolz als gewesener Benseschüler, obwohl ich zugeben muß, daß ich Theorien gegenüber als praktizierender Maler aus Lebenserfahrung skeptisch gegenüberstehe... weil ich schneller male, als ich Gedanken erfassen könnte.
Mir erscheint es so, daß meine Bilder unendlich viel mehr enthalten als das, was darüber gesagt werden kann, und das in Worten Gefaßte entspricht nur einer Teilwirklichkeit. Ich komme jetzt von einer Tibetanischen Ausstellung im Grand Palais, und damit habe ich unbedingt sehr viel zu tun. Ich könnte nicht definieren, was TANTRA ist, finde aber bermerkenswert viele Elemente wieder, in der mongolischen Malerei, die ich selber verwende, z.B. Vorliebe für Farbaccorde, Farbtemperaturen des Violett-GeIb und Rot-Grün. Unbewußte Schreckensgebilde, die bei mir nicht stereotypisch sondern als Beschwörungsmittel gegen das Böse dastehen, aber nie den expressiven Gehalt Grünewalds erreichen, sondern mehr Figuranten eines Theaterspiels sind. Den felsenfesten Glauben, aus Verzweiflung, daß es ein geistiges Leben gibt über das Formale hinaus. Aus Verzweiflung warum? Weil ich es nur leben, und malen, das Gelebte malen kann und unfähig bin, es in Worten auszudrücken. Räumliche Verschiebungen von Gegenständen der Nachahmung (KOPF, HÄNDE, AUGEN...), die bei mir von der Adäquation der Farbprogression herkommen, bei den Tibetanern einer kohärenten geistigen Welt entsprechen.
Bei mir kommt ein mechanisches Element dazu (Die MASCHINE / Menschmaschine, Menschflugzeug), womit ich in Bereichen des Science Fiction schwebe und also kosmisch-esoterischen, durchaus nicht rationellen Dimensionen nahekomme. Also in Allem das Gegenteil von Wittgenstein und Bense Das Merkwürdige ist, daß Gebilde entstehen, die auf Erden völlig neu sind und auch in der ästhetischen Dimension Berechtigung haben, und zwar durch die Grammatik der Farbsprache. Progressionen, Farbprozesse der Progressionen, Progressionen der Progressionen mit Weltchaos angefüllt. Das ergibt Wesen, Farbwesen, die sich im besten Falle schwebend, wie Luftballons oder Farbzeppeline, oder schwebende, also entmaterialisierte Riesen-Farbamöben verhalten. Sie haben die Eisenschaft,syntaktisch völlig definiert zu sein, semantisch aber nur Fragezeichen [zu] stellen. Der Beschauer soll die Frage stellen: "Was ist das?" Meine Antwort ist: "Das ist eine mögliche Welt". Wenn mich jemand fragt, was soll dieser komische Gegenstand? so sage ich, daß er absurd und poetisch ist, syntaktisch aber stimmt. Wenn einer sagt, daß ist doch "lyrisches Geschwätz", so meine ich, daß er sich irrt. Denn historisch wäre eine solche Malerei, die die Prätention hat, eklektisch, massv Kunstgeschichte der ganzen Erde zu gebrauchen, wäre vorher; vor 1960-70, nicht möglich gewesen, weil ab nun Flugzeug fliegen billig ist und die Television uns mit Weltbildern überfüttert. Diese Malerei sollte nicht regional gebunden sein, trotzdem gebraucht sie zum Verständnis, ich meine, visuelle, schnelle Erfaßbarkeit und Lektüre, formale Stützung, Objektivierung. Weil ich inhaltlich völlig im Dunklen tappe und oft durch den Automatismus der Auslöseprozeß entsteht, brauche ich verständliche Objektivierung. Ein Netz, klar und lesbar, formal und farbig bestimmt. Dieses Netz "TRAME" enthält Adjektive, benennbare Gegenstände, die Rätsel herstellen, auch für mich selbst, aber vom Beschauer jeweils seinem Gutdünken nach interpretiert werden. Ist das legitim? Ich glaube ja.
Hat man denn Kunst je anders gemacht? Das ist der Grad der Verrücktheit des Irrationalen, den eine rational-technische Gesellschaft als Spiel mit dem Technischen und den Inhalten des Gedächtnisses sich leisten kann oder könnte, falls sie es acceptiert.
Die Gefahr ist AKADEMIE, wenn das Formale die Inhalte entbehrt, und KITSCH, wenn die Bedeutung der Inhalte überwiegt. D.h. ich male unbekannte Inhalte in unbekannten Farbabläufen in bekannten Formenschemen, wobei die Formenschemen meistens zerbrechen. Und das ist der wichtigere Punkt. Denn ich habe festgestellt, daß italienische Madonnenschemen, in Farbprogressionen umgesetzt, zerbrechen und es entsteht was anderes - Neues. Quadrate zerbrechen auch, siehe ALBERS und ROTHKO. Das letzte Bild von Rothko ist eine dunkel vibrierende Masse. Man könnte auch entgegnen, ich fülle Farbvibrationen à la Rothko z.B. mit Inhalten auf und es wird daraus Kitsch. Das letzte Bild von Rothko war ein Horizont. Entleerung auch Bedeutungsentleerung, und das in einer Welt von einer unendlichen Fülle des Reellen und einer XMAL unendlichen Fülle des Möglichen.
Worauf kommt es also an?? Legitime Frage. Der naive Maler sagt, damit das Bild stimmt, der intelljektuellere Typ wird sagen... es kommt darauf an, daß ästhetische Information entsteht, und die ist durch die Grammatik bestimmt und nicht durch die Inhalte. Von denen gibt es unendliche, Formstrukturen aber nur sehr wenige.
Also möchte ich Dir die Frage stellen: Wieso wenden sich die jüngeren Maler weg vom Formalen? Die Tibetaner malten die gleiche Form mit dem gleichen Inhalt während 2000 Jahren, und trotzdem sind die Variationen überraschend.
Ich weiß bloß, daß mir all dies schon seit eh her sehr viel zu schaffen machte und auf die Gefahr hin, mein Leben versaut zu haben, habe ich den Weg der inneren Befreiung meiner eigenen Gedanken gewählt. Im Gebäude meiner eigenen Gedanken laufe ich im Kreise herum. Sobald ich male, zerbricht das Gefängnis, oder meine ich das nur so?
Also tippe und tappe ich im Dunkel herum, im Dunkel meiner Seele und meines Körpers und meiner Vorlieben. Wenn Du etwas über meine Malerei sagst, so wird mir das bewußt. Ich ersehne und befürchte gleichzeitig Sicherheit. Mein Leben ist ein ununterbrochenes Zaudern und Zagen und eine Aneinanderreihung der Momente der Unsicherheit. Und die Bilder ergeben einen "Chemin de croix", einen Kreuzweg. Und letztlich ergeben die aufeinander projezierten Unsicherheiten einen Habitus, einen visuellen Raster, und das ist meine Malerei. Darin finden diejenigen, die zum Schauen kommen, das, was sie mit sich selber bringen, und sich selbst. Und das Gebrauchen von klassischen Kompositionen wird beim Malakt zerbrochen und es entsteht Entfremdung. Hoffentlich will ich nicht zuviel, sonst zerbreche ich selber dabei. Oh welche Wonne für Menschen, die Sicherheiten haben.
Verzeihe meine vielen Fehler und die schlechte Sprache. Und nochmals tausend Dank für Dein sehr intelligentes Vorwort. Ich möchte es, wenn je eine Ausstellung im MUSEE D'ART MODERNE kommen sollte, im Katalog haben, auch auf französisch.
Kommt uns in Südfrankreich besuchen, es würde uns freuen und hoffentlich auf bald. Du hast mich schon längst bei den undankbaren Menschen katalogisiert, weil ich mich nicht bedankt habe, und dabei möchte ich Euch sehr gerne das Bild Eurer Auswahl geben mit Skizzen und Aquarell und Zeichnung die dazugehören. Kommt bitte zur Auswahl.
Hier unsere Adresse in Südfrankreich und nochmals tausend Dank.
Mit freundlichem Gruß
Atila